Die neuen Text-Börsen

Textbörsen im Internet hatten unter freien Journalisten bislang einen zweifelhaften Leumund, galten als schmuddelige Content-Schleudern abseits journalistischer Qualitätsmaßstäbe – und ganz sicher nicht als lukratives Geschäftsmodell. Mit „Spredder“ und „dieRedaktion“ haben die bisherigen Portale in den letzten Monaten Gesellschaft bekommen, die zumindest der Qualität zu ihrem Recht verhelfen wollen; als lukrativ für journalistische Einzelkämpfer aber gehen sie auch bei ihren Machern nicht durch.

„Spredder“

„Spredder“ zum Beispiel, gestartet im Herbst 2010, bezeichnet sich selbst als „Online-Shop für Qualitätsjournalismus“ und richtet sich gezielt an Redaktionen auf der Suche nach Texten. Als Geschäftsführer fungiert Sebastian Esser, zu den Gründern gehört auch Hajo Schumacher, dessen Texte auf der Startseite prominent platziert sind. Das liegt vor allem daran, dass außer ihm nur wenige Kollegen „spreddern“. Viele Autoren, die bei „Spredder“ namentlich auftauchen, wurden vor dem Start von Esser und Schumacher angeschrieben und eingeladen, mitzumachen.

Redaktionen können hier Texte nach Themengebieten suchen oder gleich ein Schlagwort eingeben, in der Hoffnung, dass der Autor dasselbe Wort unter seinen Artikel gesetzt hat. Das Prinzip ähnelt also dem von Bildportalen oder Seiten wie „Tvype“, die mit Filmbeiträgen handeln. Vorab gibt es immer nur eine Leseprobe, wer einen Text komplett sehen will, muss ihn kaufen. Autoren und Redaktionen legen Konten an, über die „Spredder“ dann Verkauf und Bezahlung abwickelt. Wer mitmachen will, muss auch gleich seine Bankdaten hinterlegen: Sonst können Autoren nichts hochladen und Redaktionen nichts abrufen.

Angemeldet sind bei „Spredder“ knapp 400 Personen, doch die meisten waren von Anfang an Karteileichen, die sich zum Start einmal umschauen wollten. Etwa 90 Prozent der Mitglieder haben noch nie einen Text auf die Seite gestellt. Und die, die es doch getan haben, wollten es wohl nur mal ausprobieren – und blieben der Seite danach mangels Resonanz fern. So stammen die meisten „jüngsten“ Artikel vom Oktober 2010.

Eine, die es mal ausprobieren wollte, ist Gabriele Bärtels, freie Autorin unter anderem für „Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“ und Gründungsmitglied der „Freischreiber“. „Ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, dass ich immer gleich Nein schreie“, sagt sie. Also stellte sie vier Texte online – unveröffentlichte ebenso wie bereits erschienene zur Zweit- oder Mehrfachverwertung. „Ich gehöre zu den seltenen Exemplaren, die oft erst schreiben und dann versuchen, den Text zu verkaufen“, sagt sie. Ergebnis: Null. „Die Texte wurden nicht einmal besonders oft angesehen“ – auch darüber gibt die Statistik bei „Spredder“ Aufschluss. Wenn also nicht einmal eine verhältnismäßig bekannte Kollegin wie Gabriele Bärtels dort ihre Texte loswird – was sagt das dann über die Erfolgsaussichten?

So mau, wie das Portal bei einem ersten Rundgang wirkt, ist es laut Geschäftsführer Esser nicht: Er spricht von „ordentlichen Umsätzen“ und sagt: „Wir schreiben schwarze Zahlen.“ Wie hoch die sind, sagt er freilich nicht. Und es gibt auch Kollegen, die dem Portal durchaus etwas abgewinnen können. Für ein „sehr gutes Tool“ hält es etwa ein Journalist, der seinen Namen hier nicht lesen möchte. Bis heute hat er ein gutes Dutzend Texte bei „Spredder“ hochgeladen und davon immerhin einen verkauft. Damit gehört er zu jener „Stammkundschaft“ (Esser), „die schon ein Erfolgserlebnis hatte“. Restlos begeistert ist der Kollege aber nicht: „Ich habe den Eindruck, ‚Spredder‘ wird nicht mit voller Kraft gefahren“, sagt er. So stünden Texte, die er dort hochlade, teilweise erst nach zwei Tagen online.

Das mag an der Qualitätskontrolle liegen, der „Spredder“ erklärtermaßen alle Beiträge unterzieht und dabei die üblichen journalistischen Maßstäbe anlegt: Verständlichkeit, keine Schreibfehler, Fairness und Transparenz. „Wir lesen jeden Text durch, um PR auszuschließen und sprachliche Qualität sicherzustellen“, sagt Sebastian Esser. Einen „detaillierten Faktencheck“ könne man nicht machen. Mehr ist nicht drin bei einer Vollzeit- und zwei halben Stellen.

„Spredder“ hat einen Festpreis für die Texte: zwei Cent pro Zeichen, abzüglich Provision und laufende Kosten. 70 Prozent des Honorars gehen an den Autoren, der Rest an „Spredder“. Das bringt 42 Euro für 3.000 Zeichen. Sebastian Esser gibt zu: „Reich wird man mit, Spredder‘ nicht.“ Und Gabriele Bärtels stellt fest: „Das geht nur über Masse.“ Sie bleibt skeptisch, was das Vertriebsmodell betrifft: Eine Redaktion, die keine eigenen Kontakte zu freien Autoren habe, müsse schon „sehr arm“ sein.

„Grundsätzliche Zweifel“ am Modell Textbörse meldet auch Ulf Froitzheim an, ehemaliger Sprecher der Fachgruppe Freie im Bayerischen Journalisten-Verband und heute bei der VG Wort Mitglied im Verwaltungsrat für Textjournalisten. „Die übliche Vermarktung wird hier auf den Kopf gestellt“, das Modell sei realitätsfern. „Einen fertigen Text kaufen? Ich kenne keine Redaktion, die das macht.“ Sebastian Esser dagegen schon. Abnehmer seien vor allem „kleine Magazine, die man als Freier vorher oft nicht kannte, und Firmenmagazine“. Tageszeitungen dagegen eher nicht: „Viele Redaktionen stecken in jahrzehntelang eingeübten Strukturen fest“, sagt Esser. „Die können nicht einfach mal die Verlags-Kreditkarte zücken.“

Ulf Froitzheim zweifelt vor allem am Festpreis: „Ein Einheitspreis berücksichtigt ja gar nicht, wer das hinterher druckt.“ Derselbe Preis könne für Tageszeitungen zu hoch sein, für Magazine dagegen viel zu niedrig. „Damit mache ich mir als Autor die Preise kaputt“, sagt Froitzheim.

„dieRedaktion“

Nun mag „Spredder“ eher als idealistisch getriebenes Liebhaberprojekt gelten – ungleich größer ist das Portal, das die Post im März 2011 auf den Markt geschoben hat: „dieRedaktion“ stand Anfang April kurz vor ihrem 1.000. Mitglied, zehn Mitarbeiter haben ein Auge auf die Texte und per Hotline ein Ohr für die Mitglieder. Anders als bei „Spredder“ können die Autoren ihre Honorare hier selbst festlegen – was dazu führt, dass manche Essays oder Reportagen gleich 700 Euro kosten und damit fast nur noch für Magazine infrage kämen, die wiederum überwiegend eigene Autoren haben. Auch „dieRedaktion“ nimmt Provision: 30 Prozent für einen verkauften, lizenzierten Artikel, zehn Prozent für einen angenommenen Auftrag. Bezahlt wird über die „Deutsche Post Zahlungsdienste“, identifizieren muss man sich über Presse- oder Personalausweis oder „Post-Ident“, das auch die Nutzer des E-Post-Briefs legitimiert. Wer die Provision happig findet, dem hält die Post ihr eigenes Rechenmodell entgegen: „Die Texte würden andernfalls ja überhaupt nicht verkauft, insofern verdient der Autor 100 Prozent daran“, heißt es dort. Damit kann man auch die 72 Euro Jahresbeitrag begründen, die neu angemeldete Nutzer ab dem 1. Mai zahlen müssen.

„dieRedaktion“ ist bereits gut gefüllt, fast jede Schlagwortsuche zeitigt zumindest Ergebnisse. 9.000 Texte stellte allein der Axel-Springer-Verlag zum Start auf die Seite – mit dem Ergebnis, dass derzeit die allermeisten Stichproben zu Artikeln führen, die schon einmal bei „Welt“, „Berliner Morgenpost“ oder „Hamburger Abendb
latt“ erschienen sind. Das sei durchaus gewollt, heißt es bei der Post: Verlage und Redaktionen sollten „nicht nur Beiträge kaufen und Aufträge ausschreiben“, sondern auch eigene Artikel verkaufen können – „so sie die Rechte dazu besitzen“. Auch der Fachverlag „International Data Group“ (u. a. „Computerwoche“) war von Anfang an dabei, weitere Verlage will man in den nächsten Monaten an das Portal „heranführen“.

Ulf Froitzheim sieht genau das kritisch: „Die Verlage wollen die Texte, die sie zuvor per Buyout komplett erworben haben, noch einmal weitervermarkten“, sagt er. „Sie verkaufen Texte, die Autoren in einem ihrer Blätter veröffentlicht haben, an andere Anbieter weiter – und dank Buyout sieht der Autor von dem Erlös keinen Cent.“ Stimmt nicht, heißt es bei der Post: Springer habe „nur Texte hochgeladen, die von fest angestellten Redakteuren stammen“, wohl um genau diesem Vorwurf zu entgehen. Ein anderer Einwand bleibt derweil im Raum stehen: Die schiere Textmasse der beteiligten Verlage mache „für einzelne Kleinanbieter mit wenigen Texten den Markt wieder dicht“, befürchtet Ulf Froitzheim. Dabei wirbt „dieRedaktion“ doch ausdrücklich um die Freien.

Eines der Werbegesichter von „dieRedaktion“ ist Sven Hansel, freier Journalist aus Köln, dem der Claim in den Mund gelegt wird: „Früher habe ich Jobs gesucht. Jetzt finden sie mich.“ Hansel schreibt in der Themen-Nische „IT-Strategien“, kennt einige der Akteure bei der Post, die hinter dem Portal stehen, und sagt, was er auch als Werbe-Ikone sagen würde: „Das ist das erste Mal, dass ein Textportal so professionell aufgezogen wird. Ich glaube, das kann funktionieren.“

Zumindest Kontakte zu potenziellen Auftraggebern habe er durch das Portal bereits geknüpft, sagt Hansel. „Viele Firmen haben Berührungsängste gegenüber Journalisten“, hat er festgestellt, insbesondere die Herausgeber von Kunden- und Mitgliederzeitschriften in Unternehmen. Die könnten sich auf „dieRedaktion“ nun erst einmal umsehen. Die drei Texte, die er bislang zur Zweitverwertung online gestellt hat, hat bislang niemand gekauft, ans große Geld glaubt er hier sowieso nicht. „Es ist illusorisch zu glauben, man könne damit tausende Euros verdienen.“

Prinzipiell schätzt Hansel an „dieRedaktion“ die Zahlungsabwicklung: Wie „Spredder“ tritt das Portal in Vorkasse, bezahlt die Autoren, sobald das Geschäft besiegelt ist, und holt es sich dann von Käufern oder Auftraggebern zurück. Das sieht auch Kritiker Froitzheim als Pluspunkt: „Die Autoren müssen ihrem Geld nicht mehr hinterherrennen.“

Aber wie kommt die Post überhaupt dazu, neuerdings Texte zu vermarkten? Weil ihr beim Pressevertrieb die Felle davonschwimmen. 800 Millionen Euro Jahresumsatz habe der Logistiker zuletzt allein mit dem Transport abonnierter Druckwerke gemacht, heißt es. Sinkende Auflagen und sinkende Abozahlen machen also auch der Post zu schaffen, die nach neuen Geschäftsfeldern sucht.

Noch sei die Zahl der Verkäufe überschaubar, doch „dieRedaktion“ hat schon Größeres vor: „Mini-Stipendien“ kann man sich dort vorstellen, ausgelobt für aufwendige Recherchen – unter der Bedingung, dass die fertigen Geschichten dann exklusiv über „dieRedaktion“ vermarktet werden.

„Textportal“:

Auch der Deutsche Fachjournalistenverband hat ein eigenes Portal, das praktischerweise „textportal.de“ heißt. Wer dort als Autor mitwirken will, muss Zugangsdaten anfordern – per Post. Das sei am sichersten, sagt der DFJV auf seiner Website. Verbandsmitglieder haben automatisch einen Zugang.

Immerhin: Der Brief kommt schon am nächsten Werktag an. Autoren können Texte komplett hochladen, verschlagworten und nach Ressorts verteilt anbieten, Redaktionen per Schlagwort- oder Autorensuche nach Artikeln oder Essays suchen.

Wer sich anmeldet, muss sich vorher überlegen, ob er das als Autor oder als Käufer tun will – beides geht nicht, und so gucken Autoren, die interessehalber mal die Texte der Kollegen durchstöbern wollen, in die Röhre. Auch bei textportal.de bestimmt der Autor, was sein Text kostet, allerdings sind beide Seiten hier auf sich gestellt.

Im Idealfall meldet sich ein Käufer beim Autor, lässt sich dessen Bankverbindung geben und bezahlt. Im schlechtesten Fall passiert das nicht. Dafür kassiert der DFJV aber auch keine Provision – weder vom Autor noch vom Käufer.

„Suite101“:

Ein ganz anderes Geschäftsmodell verfolgt „Suite101“: Die Texte, die dort erscheinen, werden über automatisch zugeschaltete Google-Anzeigen vergütet. Das Honorar richtet sich nach den Klickzahlen, verkauft werden die Texte nicht.

„Wenn man damit wirklich Geld verdienen will, braucht man ein großes Netzwerk und müsste seine Texte massiv mit Twitter oder Facebook verknüpfen“, sagt Björn Völlmar, freier Journalist in Hannover, der „spaßeshalber“ ein paar Texte bei „Suite101“ eingestellt hat. Vier Stück waren es insgesamt – Ausbeute: 10 Euro. Die Themen könne man sich aussuchen; Völlmar schrieb während eines Urlaubs in Venezuela über das Land. Aktuelle Themen bringen mehr Klicks – auch weil sie öfter über Google abgefragt werden.

„Suite101“ bezeichnet sich als Autorennetzwerk und Online-Magazin und richtet sich an professionelle Journalisten und Hobbyschreiber gleichermaßen. Zudem schreibt das Portal regelmäßig „Stellen“ aus – in freier Mitarbeit. Björn Völlmar erinnert sich, dass er sich mit Lebenslauf und zwei Textproben bewerben musste, zwecks minimaler Qualitätssicherung.

Und sonst?

Als schlechtestes Beispiel für Online-Textvermarktung gelten indes Portale wie „Demand Media“ und deutsche Nachahmer wie content.de. Auch diese Seiten leben von Google-Klicks und legen es darauf an, in der Suchliste ganz oben zu erscheinen – aber nicht mit den üblichen SEO-Methoden, die zum Handwerk eines jeden Onlineredakteurs gehören. Vielmehr generieren sie inhaltsarme Texte als Antwort auf sogenannte „Long Tail“-Anfragen bei Google – also auf ganze Fragesätze. Die Autoren produzieren am Fließband und mischen Wikipedia mit ihrem eigenen Halbwissen. Das Ergebnis sind dann Tipps, wie man Weinflaschen öffnet. Ein Artikel bringt 15 Euro, ein Video 20, einmal Redigieren 3,50 Euro. Von einer „Resterampe“ schrieb die FAZ, von „Ausschussware“ die „Süddeutsche Zeitung“, von „Totengräbern des Journalismus“ der „stern“. Nun sind solche Plattformen – und deren Autoren – Lichtjahre entfernt von Seiten wie „Spredder“ oder „dieRedaktion“. Doch auch an deren Zukunft glauben Skeptiker wie Ulf Froitzheim nicht so richtig. „Ich könnte mir eher eine Plattform vorstellen, bei der Redakteure nach Journalisten suchen können, die sich auf einem Gebiet auskennen“, sagt er – keine fertigen Texte also, sondern journalistische Kompetenz. So was gibt es übrigens bereits – zum Beispiel beim „Freischreiber“-Verband und Autoren-Netzwerken wie „Magda“.

Die anderen Textdienstleister

„Demand Media“

Sitz: USA und London

www.demandmedia.com

„Content“

Sitz: Herford

www.content.de

„Clickworker“

Sitz: Essen, San Francisco, Rochester

www.clickworker.com

„Café Europa“

Sitz: Sankt Gallen, Schweiz

www.ce-sg.com

Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 82 bis 85 Autor/en: Daniel Kastner. © A
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