Die Kombination von Sex und Kriminalität, die Prominenz des Angeklagten und die Gelegenheit, einen Blick durchs Schlüsselloch in sein Schlafzimmer zu werfen – offenbar gibt es viele Faktoren, die einen hohen Unterhaltungswert des Prozesses gegen Jörg Kachelmann begründen.
Dies hat die „Bunte“ offenbar veranlasst, Ex-Freundinnen mit teilweise erheblichen Summen für die Preisgabe ihrer Erlebnisse mit Kachelmann zu ködern, um sie herzzerreißende Geschichten über ihre enttäuschten Gefühle erzählen zu lassen; ihre Chefredakteurin bekennt gar unter der Überschrift „Eine verlorene Liebe vor Gericht“, dass sie das beigefügte Foto des mutmaßlichen Opfers von Jörg Kachelmann „besonders bewegt“ habe. Dass diese einseitige Form der „Berichterstattung“ Persönlichkeitsrechte verletzt und geeignet ist, Kachelmann – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens – gesellschaftlich zu ächten, scheint die „Bunte“ nicht zu kümmern.
Mangel an Distanz in allen Lagern.
Eine sachgerechte Berichterstattung über diesen Prozess kann indessen durchaus auch einen nützlichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, zur Kritik und Kontrolle des Gerichtes leisten. Zum Beispiel in der Thematisierung von Probleme bei der Ermittlung eines Sachverhalts, den nur der Angeklagte und das angebliche Opfer kennen können. Oder zur Frage, ob sich Richter, Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Sachverständige sowie der Angeklagte und die Zeuginnen angemessen verhalten. So hat Hans Holzhaider in der „Süddeutschen“ die Erklärung des Vorsitzenden, mit der er seinen Ausschluss aus dem weiteren Verfahren vermieden hat, als „billige Ausrede“ heftig kritisiert. Ebenso deutlich hat Gisela Friedrichsen im „Spiegel“ kritisiert, in welchem Umfang das Gericht die Öffentlichkeit aus dem Verfahren ausschließt.
In weiten Teilen aber erinnert mich die Berichterstattung über den Kachelmann-Prozess an ein Konzert, das ich in der Arena di Verona erlebte. Als dort italienische Tenöre je eine ihrer Bravour-Arien vortrugen, schien es, als habe jeder seine Fans mitgebracht, die den Auftritt ihres Lieblings bejubelten und die anderen ausbuhten. Einen ähnlichen Eindruck machen auf mich Prozessberichte, deren Mischung aus einseitig ausgewählten Fakten und ihrer Kommentierung erkennbar dadurch geprägt ist, dass sie entweder einen Freispruch oder eine Verurteilung Kachelmanns für richtig halten.
Die Fangruppe „Pro Kachelmann“ wird angeführt von Sabine Rückert, die konsequent die Auffassung vertritt, der Strafjustiz seien die „Beweise gegen Kachelmann abhanden gekommen“, die Sachverständigengutachten mit „Nullbefund“ kommentiert und angeblich sogar auf den Verteidigerwechsel von Kachelmann hingewirkt hat. Demgegenüber ist Alice Schwarzer in den Ring gestiegen, um zu verhindern, dass „Vergewaltigung … ein quasi strafloses Verbrechen“ bleibt. Dabei schreckt sie auch vor einer Vorverurteilung Kachelmanns nicht zurück. So teilt sie ihren Leserinnen mit, in Vergewaltigungsfällen lüge die Frau nur in drei von 100 Fällen, und warnt: „Sollte das Gericht die Wahrheit nicht herausfinden und käme es auf einen Freispruch ‚Im Zweifel für den Angeklagten‘ raus, dann wäre das eine Katastrophe … für Millionen Frauen.“
Das erweckt zwangsläufig den Eindruck, die Wahrheit sei: Kachelmann ist der Täter und deshalb zu verurteilen. Genau dies steht aber bislang nicht fest. Alice Schwarzer wurde zu Recht vorgeworfen, ihren Berichten mangele es an notwendiger Distanz, die journalistische Objektivität erfordert. Aber gilt das nicht auch für „Zeit“-Redakteurin Sabine Rückert? Muss ich von einer Gerichtsberichterstatterin nicht erwarten können, dass sie den Sachstand zunächst möglichst vollständig und neutral mitteilt, damit sich Leserinnen und Leser ihr eigenes Urteil bilden können? Gilt das nicht besonders, wenn sie selbst gar nicht über die vollständige Kenntnis des Sachstandes verfügt, weil große Teile der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden?
Saubere Trennung.
Die Verwechslung von Fan-Verhalten und Berichterstattung ist fatal. Sie verkennt die Aufgabe der Medien, die vorrangig darin besteht, ihr Publikum in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden – und nicht darin, sie für den eigenen Fanclub zu gewinnen. Es gilt nach wie vor die goldene Regel, nach der ein guter Journalist Distanz zu der Sache wahrt, über die er berichtet. Für die Prozessberichterstattung gilt das in besonderem Maße, wenn die Berichtenden selbst gar nicht über die vollständige Kenntnis des Sachstandes verfügen, weil große Teile der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Selbstverständlich schließt das Gebot der sachgerechten Information nicht aus, dass der Berichterstatter vermeintliches Fehlverhalten der Prozessbeteiligten deutlich kritisiert – etwa den Ausschluss der Öffentlichkeit von großen Teilen des Verfahrens. Solche Informationen dürfen dann gern durch einen subjektiven und pointierten Kommentar ergänzt werden. Die Urteilsfindung sollten Journalisten aber besser dem Gericht überlassen.
Prof. Udo Branahl lehrt Medienrecht an der Uni Dortmund und arbeitet zusätzlich in der Aus- und Weiterbildung von Journalisten. Branahl hat u. a. Bücher über Medienrecht und Justizberichterstattung veröffentlicht.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 22 bis 23 Autor/en: Udo Branahl. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.