Sie ist so leidensfähig und so verzichtsbereit wie keine andere, das hat die Redaktion der „Frankfurter Rundschau“ mehrfach bewiesen. Jetzt bleibt ihr nicht einmal erspart, die eigenen Nachrufe zu lesen: Vom „zu Tode geretteten Patienten“ schrieb die „Zeit“, vom „Ende als wirklich eigenständiges Blatt“ die taz. Da wird zurückgeschaut auf die großen Tage der FR, auf die siebziger und achtziger Jahre, als die Zeitung auf dem Frühstückstisch jedes Akademiker-Haushaltes lag und in jeder Studenten-WG neben dem Aschenbecher; als Publizistik-Lehrbücher noch die traumhaften Arbeitsbedingungen bei der FR lobten; als heutige Chefredakteure dort ihre ersten Praktika absolvierten.
Es geht um die Existenz
Es sind Nachrufe auf einen Patienten, der nach massiven Auflagenverlusten und Millionendefiziten zwar mit dem Tode ringt, den die Ärzte aber versuchen, durch Amputation zu retten: Die FR verliert ihre eigene überregionale Berichterstattung, der komplette Mantelteil soll künftig am Standort des Schwesterblattes „Berliner Zeitung“ produziert werden, 44 der 190 redaktionellen Stellen sollen in Frankfurt wegfallen, jedenfalls unterm Strich – zunächst soll es sogar 88 Kündigungen geben. Das seien zwar schmerzliche Einschnitte, so Verleger Alfred Neven DuMont, aber: „Anders ist die Existenz der Zeitung nicht zu sichern.“ Noch vor zehn Jahren verkaufte die FR werktags rund 190.000 Exemplare, im letzten Quartal 2010 waren es nicht einmal mehr 130.000. Die Mediengruppe DuMont Schauberg rechnet für das vergangene Jahr bei der FR mit einem Verlust von 19 Millionen Euro. „Mit diesen Maßnahmen wollen wir bis 2013 aus den roten Zahlen sein“, sagt DuMont-Vorstand Franz Sommerfeld. Ein letztes Ultimatum für den siechen Patienten?
Schon bis August jedenfalls, möglicherweise früher, will der Verlag die Redaktion umgebaut haben – und dabei die Erfahrungen aus der bisherigen Zusammenarbeit von FR und „Berliner“ nutzen: Bereits seit einem Jahr kommt ein Großteil der Politik- und Wirtschaftsberichte beider Zeitungen aus der gemeinsamen DuMont-Redaktionsgemeinschaft (intern: ReGe), die auch die Konzernzeitungen „Kölner StadtAnzeiger“ und „Mitteldeutsche Zeitung“ beliefert. Das Versprechen beim Umbau damals hieß: Wir sparen und steigern die Qualität. Heute lautet es: Wir sparen weiter und erhalten die Qualität.
Wie genau das gehen soll, ist bislang lediglich in Grundzügen klar. Aus Frankfurt soll ein Produktionsteam nach Berlin ziehen, wohl 20 Redakteure, die dann in einer neuen Tochterfirma angestellt werden: der DuMont Redaktion GmbH. Nicht zu verwechseln mit der ReGe, die in alter Stärke von 25 Autoren, Reportern und Redakteuren erhalten bleibt; also auch nicht weiter wächst. Eine dreiköpfige Chefredaktion soll das Konglomerat aus Ressorts und Tochterfirmen leiten, angeführt als primus inter pares von Uwe Vorkötter, der bereits Chef beider Zeitungen war. Der bisherige FR-Chef Rouven Schellenberger bleibt in Frankfurt und soll die digitalen Inhalte verantworten, also vor allem für Online und das iPad. Brigitte Fehrle, die ReGe-Chefin, wird ebenfalls zum neu gebildeten Chef-Trio gehören.
Der Modellversuch
„Für einen solchen Umbau gibt es keine Blaupause“, sagt Fehrle, „das ist ein Novum in der bundesdeutschen Presselandschaft.“ Dass er gelingen könne, das zeige sich an der Arbeit ihrer Redaktionsgemeinschaft. „Das war ein kleiner Modellversuch, der jetzt als Vorbild dient.“ Am Auftrag ihrer Autorentruppe ändere der neue Umbau nichts: Texte für die Verlagsblätter liefern. Es werden aber ein paar Video-Schaltkonferenzen wegfallen, schließlich muss sich die Redaktionsgemeinschaft jetzt nicht mehr mit FR-Politik-Kollegen abstimmen.
Dafür werde die Zusammenarbeit mit „Kölner StadtAnzeiger“ und „Mitteldeutscher Zeitung“ enger. Ein paar ReGe-Autoren sollen allerdings auch in Frankfurt bleiben und von dort aus weiter über Banken und Börse berichten. „Der Rest der ReGe wird in Berlin refusionieren“, sagt Fehrle. Und auch ihr aktueller Stellvertreter Robert von Heusinger, der bislang die Wirtschaftsberichterstattung vom Main aus verantwortete, wird wohl im Zuge des Umbaus nach Berlin umziehen. (Nachtrag: …) ist in Frankfurt geblieben.
Was aber sind das für Erfahrungen, die die ReGe im ersten Jahr ihres Bestehens gemacht hat und aus denen der Verlag jetzt lernen will? „Wir haben bewiesen, dass man sich gemeinschaftlich verantwortlich fühlen kann für mehrere Blätter“, sagt Fehrle. Kollegen aus verschiedenen Redaktionen könnten zusammenwachsen, ohne dass „eine gewisse Äquidistanz“ zu den Zeitungen verloren gehe.
Die beiden ReGe-Chefs hatten sich einiges einfallen lassen, um das zu fördern: Stellvertreter von Heusinger lud im Herbst alle Wirtschaftsressortleiter und Redakteure nach Kassel ein, Umtrunk und Blattkritik inklusive. Und Fehrle trat in Talkshows und Interviews unter wechselnden Labels auf, mal für die FR, mal für die „Berliner Zeitung“, um beide Zeitungen zu promoten. Und auch künftig, wenn der FR-Mantel komplett aus Berlin kommt, sollen Vorabmeldungen abwechselnd als exklusive Geschichten der FR oder der „Berliner Zeitung“ verschickt werden. „Wir wollen die Marke ‚Frankfurter Rundschau’ ja nicht schwächen“, sagt Fehrle, „sondern zu alter Stärke führen.“ Ihren eigenen Aufstieg zur Gesamtchefredakteurin, solle man nicht überbewerten, sagt sie. „Da ändert sich vielleicht etwas auf der Visitenkarte.“ Ob sie auch ReGe-Chefin bleibt, lässt sie offen.
Fehrle und von Heusinger betonten immer wieder, dass sich durch die Arbeit ihrer Truppe die Textqualität gesteigert habe. Dass ihre Leute – anders als oft im normalen Tagszeitungsalltag – viel Zeit für Recherche und Hintergrundinformationen hätten, dass sie mehrere Kollegen auf ein Thema ansetzen könnten.
Redaktion als Lämmerherde
Aber es gab eben auch Probleme: „Während der ersten Wochen haben wir viel Zeit damit verbracht, über Abläufe und Standards zu diskutieren“, sagte von Heusinger einmal – manchmal auch zu Lasten der Kreativität: „Die Abstimmung über Textlängen hat uns zu oft zurückfallen lassen in alte Erzählformen.“ Früher habe die FR ein großes Thema oft in mehrere Aspekte zerlegt, die „Berliner Zeitung“ eher selten. „Da wurde uns manch innovativer Einfall wieder ausgeredet.“ Hauptsache, die passenden Texte werden pünktlich geliefert.
Die leidensfähige FR-Belegschaft und der Redaktionsausschuss der „Berliner Zeitung“ fürchten bei alldem, dass der Redaktionsumbau die falsche Behandlung des Problems sei. Wie soll die FR als Regionalblatt künftig im hart umkämpfen RheinMain-Gebiet, gegen den lokalen Patzhirsch „Frankfurter Neue Presse“ und auch die „RheinMain-Zeitung“ der FAZ bestehen können? Bisher ist nicht mal ein neuer Lokalchef für Frankfurt bestimmt, nachdem Matthias Arning Ende 2010 als Referent zu OB Petra Roth gewechselt ist. Die Redaktion stemmt sich gegen die Operation, mit Warnstreiks, offenen Briefen und erhält zahlreiche Solidaritätsbekundungen, die in der Mantel-Amputation wie die Betroffenen eher eine Schlachtmaßnahme sehen. Entsprechend kämpferisch klingt FR-Betriebsratschef Marcel Bathis: „Die Redaktion wird sich nicht wie eine Lämmerherde zum Schlachthof führen lassen.“
Oliver Trenkamp ist Journalist in Berlin.
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Die Serie „Wie geht’s..?“
Ein Jahr lang haben wir an dieser Stelle, in der Rubrik “Wie geht´s” regelmäßig über die Arbeit der DuMont-Redaktionsgemeinschaft (Start: 26. April 2010) berichtet. Mit diesem Beitrag endet die bisherige Serie – das Thema wird uns aber weiter beschäftigen.
Alle bisherigen Folgen sind dokumentiert in unserem online-Archiv: www.mediummagazin.de
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 16 bis 17 Autor/en: Oliver Trenkmap. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.