Ein Hörfunkinterview ist zum Renner bei Youtube geworden: „Bild-Leserin beschwert sich über den Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg“ – so ist das Gespräch von Holger Klein (Radio Fritz) mit einer Hörerin überschrieben. Gut elf Minuten dauert das Gespräch, das sich schnell zu einem denkwürdigen Streit um die wahren und gefühlten Gründe für den Rücktritt des Bundesverteidigungsministers entwickelt.„Scheiß doch auf den Doktortitel“, ruft die junge Frau irgendwann. So hat auch Franz-Josef Wagner seine Kolumne in „Bild“ überschrieben, als das Springer-Blatt noch alles „Gutt“ fand. Dass„Bild“ in der Affäre mehr als Stimmungsmacher denn als Sprachrohr auftrat, hat nichts genutzt. Ihr Kandidat ist abgetreten. Gut so.
Danach wurde der RadioFritz-Mitschnitt auf Youtube allein bis 10. März rund 880.000 Male abgerufen, mehr als 13.700 Mal kommentiert, etliche Mal weitergetwittert und verlinkt. Erheblich beigetragen zu diesem rasanten Zuspruch hat der Link von der Forumseite des „GuttenPlag Wikis“, dem das „Crowdsourcing“ nun wohl auch hierzulande seinen Durchbruch verdankt.
„Die Netzgemeinde hat die alten Gesetzmäßigkeiten gesprengt und zu neuen Allianzen geführt“, schreibt Hans Leyendecker am 1. März in der „Süddeutschen Zeitung“. Sein Kollege Nicolaus Richter sagt gar: „Aufklärung war noch nie so demokratisch wie in diesem Fall.“ (siehe Seite 28 ff.)
Zweifellos hat die Debatte um die Promotions-Plagiate des bayrischen Polit-Stars eine Zeitenwende auch für den Journalismus eingeläutet. Man mag vielleicht weiter über den Wert von Umfragen und Webkommentaren, von Pro- und-Contra-Seiten auf Facebook-Seiten im Detail streiten – ignorieren lässt sich die Meinungsmaschine Internet nicht mehr. Wer stattdessen immer noch auf den „Trash“, das bodenlose Niveau in vielen Kommentaren verweist, macht es sich zu einfach.
„GuttenPlag“ markiert eine Zäsur auch im Bewusstsein der Bürger, die hier erstmals die geballte Macht der Schwarmintelligenz dokumentiert sahen. Das wird Nachahmer finden, auch ohne Plagiatsverdachtsfälle und „Lichtgestalten“ à la Guttenberg. Die klassischen Medien tun gut daran, sich auf diese Situation einzustellen – zumal sie neue Chancen bietet.
„Journalisten müssen künftig verstärkt online vorhandene Inhalte aggregieren und daraus einen Mehrwert schaffen“, sagt Multimedia-Journalist Marcus Bösch (siehe Seite 31). Das setzt allerdings eine andere Haltung voraus, wie Dirk von Gehlen (jetzt.de) zu Recht meint: „Man kann als Journalist über das Netz viele Themen generieren, das ist aber nur möglich, wenn man das Netz als Raum versteht, in dem der Journalist nicht mehr auf der Bühne steht, sondern mit den Zuschauern auf gleicher Augenhöhe ist.“
In anderen europäischen Ländern wird das bereits professionell praktiziert: In Schweden startet das öffentlich-rechtliche „Sveriges Radio“ vor kurzem die Seite www.radioleaks.se. Der „Guardian“ hat es bereits 2009 mit „Investigate your MP’s expenses“ vorgemacht, wie eine intelligente Allianz zwischen Medien und Schwarm-Recherche funktionieren kann, ohne journalistische Prinzipien preiszugeben. Im Gegenteil sogar: Erst die professionelle journalistische Recherche und Analyse kombiniert mit dem Wissen der vielen, also dem „Crowdsourcing“, gab dem Thema eine nachhaltige öffentliche Wirkung.
Dafür steht auch der Fall Guttenberg exemplarisch: Publik wurde er durch die „Süddeutsche Zeitung“, befeuert durch das „GuttenPlag Wiki“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Und in nahezu allen Redaktionen können Redakteure ein Lied von den Leserreaktionen singen, im Guten wie im Schlechten.
Der Vorwurf einer Hetzkampagne durch die Guttenberg-kritischen Medien (hier in bemerkenswerten Allianzen von FAZ bis taz) mag den wallenden Emotionen geschuldet sein. Er sollte trotzdem nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Wer ihn ignoriert, läuft Gefahr, überheblich zu wirken und die Leser, Hörer oder Zuschauer endgültig zu verprellen. Besser: intelligent kontern. Wie es beispielsweise „Frontal 21“ am 8. März gemacht hat, als die Redaktion den Vorwurf einer „noch nie erlebten Menschenjagd“ durch Bilder von den Brandanschlägen auf Asylantenheime konterkarierte.
Ein Kommentator antwortete übrigens auf das Radio-Fritz-Gespräch mit folgendem Blog-Eintrag: „Auf Hörer einzudreschen ist durchaus unterhaltsam, aber auch ziemlich gemein. Und ein bisschen feige. Ich fänd’s großartig, derart klar getextete Duelle mit Ebenbürtigen zu hören. Politiker, Manager, sowas.“ Stimmt auch!
Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Editorial“ auf Seite 3 bis 4. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.