08 – Wirtschaft

Bernd Ziesemer (ehem. Chefredakteur "Handelsblatt") hielt die Laudatio auf Wirtschaftsjournalisten Heike Göbel (FAZ) und Klaus Ott (SZ), Foto: W.Borrs
Bernd Ziesemer (ehem. Chefredakteur "Handelsblatt") hielt die Laudatio auf Wirtschaftsjournalisten Heike Göbel (FAZ) und Klaus Ott (SZ), Foto: W.Borrs

Der ehemalige „Handelsblatt“-Chefredakteur  Bernd Ziesemer (als Vorjahressieger Mitglied der Jury 2010) hielt die Laudatio auf die Wirtschaftsjournalisten des Jahres: Heike Göbel (FAZ, Platz 3), Klaus Boldt („Manager Magazin“, Platz 2) und Klaus Ott (SZ, Platz 1): [audio:http://www.mediummagazin.de/wp-content/uploads/09_Wirtschaft_Laudatio_Bernd-Ziesemer_auf_Goebel-Bolt-Ott.mp3]

Zu den hartnäckigen Vorurteilen, die Wirtschaftsjournalisten im Kreise derlieben Kollegen aus anderen Ressorts entgegenschlägt, gehört die Vermutung, eshandele sich bei Ihnen ja recht eigentlich doch um eine sehr homogeneMischpoke. Alles die gleichen Erbsen zählenden, unverständlichesFinanzkauderwelsch produzierenden, den Raubtierkapitalismus affirmativbegleitenden Langeweiler. Die heutigen drei Preisträger in der KategorieWirtschaft widerlegen dieses Vorurteil – und zwar jeder auf seine ureigeneWeise.

Da ist auf Platz 3 zunächst Heike Göbel von der Frankfurter AllgemeinenZeitung, die ich seit vielen Jahren sehr schätze. Ich kannte sie zunächst nur alsfleißige Kommentatorin, erlebte sie dann aber auch in der Jury des Georg vonHoltzbrinck Preises für Wirtschaftsjournalisten persönlich. Für mich gehört siezu einer bedrohten Tierart im Gehege des Wirtschaftsjournalismus: eine überaussach- und fachkundige Kommentatorin, die sich den tagespolitischenAufgeregtheiten und Moden verweigert, ganz die ohne Bugwelle persönlicherEitelkeiten daher kommt und einfach ihren Job macht. Immer pointiert, aberniemals Effekt heischend. Stets wachsam, wenn es um ordnungspolitischeSünden der Politik geht, aber keine vom Stamm der Demokratie- undPolitikverächter, die sich im häufiger im Journalismus tummeln. Eine Meisterindes feinen Floretts, nicht der Säbelattacke.

Gleiches würde man über den Mann auf Platz 2 gewiss nicht sagen. Klaus Boldtgehört beim Manager Magazin nun gewiss nicht zu denen, die einer Hauerei ausdem Wege gehen. Einen Mann mit einem so fürchterlichen Sprachtalent möchteman nicht zum Feind haben! Wenn er sich mal wieder einen Missmanagervornimmt, dann fliegen die Fetzen. Man liest seine Artikel mit demallerhöchsten Vergnügen – es sei denn, man wäre selbst Gegenstand seinergeladenen Ironie. Und da er ja vorzugsweise über unsere eigene Brancheschreibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ich Ihnen nur raten: Lachen Sienicht zu laut, wenn sie mal wieder eine seiner begnadeten Formulierungen imManager Magazin lesen: Sie könnten morgen schon der nächste sein! Undglauben Sie ja nicht, einen Überzeugungstäter wie Boldt könne man mit Preisenund Ehrungen milde stimmen. Er gehört zur Kategorie derjenigenunbestechlichen Schreiberlinge, die jeden Freund für eine gelungene Pointeopfern – und gerade deshalb schätzen und lieben wir ihn!

Platz Eins in der Kategorie Wirtschaftsjournalismus aber gehört in diesem Jahreinem Mann von der Süddeutschen Zeitung, Klaus Ott. Er stammt aus Franken,genauer gesagt aus Ochsenfurt. Ich kenne diesen altdeutschen Stamm recht genau, weil meine eigene Frau aus der Gegend stammt – und ich des Öfteren mitregionalspezifischen Milieustudien in ortsansässigen Wirts- und Weinstubenbeschäftigt war. Klaus Ott zeigt in seiner journalistischen Arbeit einige jenerCharakteristika, die man den Franken gemeinhin nachsagt: eine gehörige PortionSturheit, einen unermüdlichen Gewerbefleiß und Hartnäckigkeit für dasallerletzte Detail. Das macht ihn zu einem der besten Rechercheure unsererZunft und gefürchteten Widersacher aller Vertuscher und Spurenverwischer –vor allem in der bayrischen Staatsregierung. Seine zahlreichen Stücke über dasmilliardenschwere Desaster bei der Bayerischen Landesbank (oder sollte manbesser sagen: über das milliardenschwere Desaster mit Namen BayerischeLandesbank) waren Beispiele für höchste Professionalität. Klaus Ott hat deshalbdiesen Preis wie kein zweiter in diesem Jahr verdient. Vor allem deshalb, weil eran seinen Themen dranbleibt – und nicht auf kurzatmigenEnthüllungsjournalismus setzt wie viele andere, die von Scoops träumen.Wichtiger als der Spin oder die Story bleiben eben doch die Fakten – und zwarbesonders jene Fakten, die irgend jemand gern verbergen möchte. Wozubrauchte man noch Wikileaks, wenn es mehr Leute wie Ott gäbe?

1. Klaus Ott „Süddeutsche Zeitung“

Begründung der Jury: „Er machte sich als glänzender investigativer Journalist 2010 vor allem um die Aufklärung des Bayern-LB/HypoAlpeAdria-Komplexes verdient. Seine Hartnäckigkeit und Fähigkeit, Fehlentwicklungen in komplexen Wirtschaftsprozessen und -verflechtungen aufzuspüren und auch für Laien verständlich zu machen, sind vorbildlich.“

Klaus Ott sieht den Preis eher als Auszeichnung für sein neues Recherche-Ressort bei der SZ als für sich selbst:
[audio:http://www.mediummagazin.de/wp-content/uploads/10_Replik_Wirtschaft_Kalus-Ott-SZ.mp3]

2. Klaus Boldt „Manager Magazin“

„Er lässt sich von keinem Mächtigen beeindrucken, sondern verfolgt das Motto ,All the news that’s fit to print‘, ohne dabei die Gebote der Fairness zu missachten. Kein Großverlag, den er nicht schon durchleuchtet, kein mediales Dickschiff, das er nicht schon geentert, kein Mogul, dem er nicht schon auf den Zahn gefühlt hätte.“

3. Heike Göbel, FAZ

„Sie spricht sachlich Klartext, wo andere allzu oft drum herumschreiben – genannt seien nur ihre Stücke über die Euro-Sicherungsmechanismen oder ihr herausragendes Interview mit Wolfgang Schäuble. Göbel hat die Wirtschaft, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, lebendig und pointiert beschrieben.“

4. Roland Tichy, „Wirtschaftswoche“

„Er hat einfach ein untrügliches Gespür dafür, dem sperrigen, unnahbaren Thema Wirtschaft Woche für Woche packende Geschichten abzuringen. Tichy, mit seinem mal knarzigen, mal knallharten Tonfall, versteht es nicht nur als Blattmacher, sondern ebenso als Autor z.B. in seinen „Chefsache“-Kommentaren, kritische Substanz mit Lesereizstoff zu füllen und unübersehbare Akzente zu setzen.“

5. Marc Beise, „Süddeutsche Zeitung“

„Im vergangenen Jahr fungierte er regelmäßig als journalistischer Übersetzer für die komplexen wirtschaftlichen Themen. Mit seiner verständlichen, einordnenden und mythenschleifenden Berichterstattung trug er ganz wesentlich zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion über die Ursachen und Konsequenzen der Wirtschaftskrise bei.“

6. Wolfgang Uchatius, „Die Zeit“

„Seine Arbeiten sind wunderbar solide und angenehm distanziert. Ganz besonders aufgefallen ist sein herausragendes Dossier „Der Goldhamster“  – das Portrait eines überzeugten Gold-Anlegers gehört zweifellos zu den erhellendsten Geschichten des Jahres.“

7. Hermann-Josef Tenhagen, „Finanztest“

„Wie kaum ein anderer weiß er kluge, unabhängige Analysen und Verständlichkeit zu vereinen. Tenhagen führte eindeutig als der klarste Kopf und Formulierer durch die Finanzkrise.“

8. Ulrike Herrmann, taz

„Mit ihrem Buch „Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ hat Ulrike Herrmann 2010 den wichtigsten journalistischen Beitrag zum wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskurs geleistet. Kompetent bis ins Detail, pointiert und unideologisch erklärt sie die Konfusion der deutschen Bildungsbürger, die aus Statuspanik konsequent politische Entscheidungen unterstützen, die garantiert nicht in ihrem Interesse sind.“

9. Thomas Tuma, „Der Spiegel“

„Als Leiter des Wirtschaftsressorts sorgte er für eine kontinuierliche investigative Rechercheleistung seiner Redaktion. Und klärte nebenher in seinem Blog „Weltkrise privat“ auf, indem er das große Ganze aufs Alltägliche herunterbrach.“

10. Nikolaus Piper, „Süddeutsche Zeitung“

„Der US-Korrespondent des Blatts machte auf sich aufmerksam mit seiner stets klugen, unaufgeregten Analyse der Bankenkrise und ihren Folgen. Und wie er in diesem Jahr die Debatte um den Bankenrettungsschirm journalistisch begleitete war beispielhaft.“