„Medien blicken viel zu selten in den Maschinenraum der Macht“

Investigativer Journalismus sei per se gefahrengeneigt, sagt Holger Stark. Der Leiter des Investigativ-Ressorts bei „Zeit“ und „Zeit Online“ muss es wissen. Ein Gespräch über Fehler, Undercover- und MeToo-Recherchen und den Einfluss von Staranwälten wie Christian Schertz auf den Journalismus. (Das gesamte Interview mit Holger Stark können Sie in der neuen Ausgabe 04/24 des „medium magazins“ lesen.)

Interview: Wolfgang Scheidt


 

 

Holger Stark (c) Nina Mallmann
Holger Stark, Leiter des Investigativressorts von „Zeit“ und „Zeit Online“ (c) Nina Mallmann

Herr Stark, rund die Hälfte aller Recherchen verlaufe im Sand, sagte Anette Dowideit von Correctiv im Deutschlandfunk. Wie hoch ist die Trefferquote Ihres Teams bei der „Zeit“?

Holger Stark: Die Hälfte scheint mir zu hoch gegriffen. Bei der „Zeit“ gelingen vielleicht zwei Drittel aller investigativen Recherchen, etwa ein Drittel scheitert. Recherchejournalismus ist anspruchsvoller Journalismus, der Zeit und Geld kostet.

In einem „Journalist“-Interview bezeichneten Sie es als den Luxus eines Investigativ-Ressorts, sich so viel Zeit wie nötig nehmen und auch nach 100 Tagen Recherchen mit drei Redakteuren ergebnislos abbrechen zu können.

Das muss sich eine Redaktion leisten können und sie muss dann auch den Raum lassen, wenn Rechercheure sagen, dass sie sich geirrt haben. Sonst entsteht ein potenziell gefärbter, unwahrhaftiger Journalismus, der Geschichten um der Geschichte willen passend macht.

Irgendwann stoßen Recherchen aber an Grenzen. Entscheiden Sie nach Bauchgefühl, wann Sie die Reißlinie ziehen?

Über die Jahre entwickelt man ein Gespür, ob eine Recherche stimmig ist. Aber Bauchgefühl alleine reicht nicht. Bei heiklen Recherchen konsultieren wir in frühen Stadien unsere Anwälte, ob eine bestimmte Form von Berichterstattung überhaupt möglich ist. Wenn wir sicher sind, dass wir juristisch scheitern, lassen wir es sein – trotz noch so heißer Spuren.

Haben Sie ein Beispiel?

Vor einiger Zeit stießen wir darauf, dass der minderjährige Sohn eines bekannten deutschen Politikers offenbar unrechtmäßig im Besitz einer scharfen Waffe war. Es war klar, dass wir das nicht veröffentlichen können, selbst bei klarster Faktenlage. Deshalb haben wir entschieden, die Geschichte nicht weiterzuverfolgen. Einerseits, weil ein Politiker nicht für Verwandte haftet, anderseits greift für einen Minderjährigen der Jugendschutz.

Wie oft wurden Sie bisher aus juristischen Gründen von einer Recherche intern zurückgepfiffen?

Wenn, dann pfeifen wir uns selbst zurück. Beispielsweise recherchierten wir mehr als ein Jahr an einer MeToo-Geschichte über eine deutsche Band.

Sie meinen Rammstein?

Nein, eine andere Geschichte über eine Band mit dem Verdacht der Vergewaltigung und nicht einvernehmlichem Sex, mit deutlich eindeutigeren Indizien als bei Rammstein. Aus juristischen Gründen erschien die Story nie. Das ist nicht nur für das Rechercheteam hart, das viel Herzblut in die Arbeit steckte. Es ist auch bitter für die Betroffenen, die sich uns geöffnet haben.

Von der Kanzlei Schertz Bergmann, die auch den Rammstein-Sänger Till Lindemann vertritt, kennt man das Prinzip, Redaktionen „vorsorglich“ zu informieren, dass man bei dieser und jener Berichterstattung über einen Mandanten mit Rechtsmitteln reagiere. Was halten Sie von solchen Schreiben?

Diese Praxis hat leider massiv zugenommen. Mittlerweile gibt es viele Anwälte, die schon Schreiben schicken, bevor wir mit ihren Mandanten überhaupt in Kontakt getreten sind. So etwas ist ein billiger Einschüchterungsversuch. Wir profitieren davon, dass wir uns wehren können. Von Kolleginnen und Kollegen aus weniger gut ausgestatteten Redaktionen weiß ich, dass solche Schreiben ihre Wirkung entfalten, hier funktioniert das Prinzip der Einschüchterung.

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Cover des "medium magazin" 04 / 2024 mit Foto von dpa-Geschäftsführer Peter Kropsch und dpa-Chefredakteur Sven Gösmann. Schlagzeile: Wieso nimmt die dpa Geld vom Staat? Unterzeile: Haben damit kein Problem: Geschäftsführer Peter Kropsch und Chefredakteur Sven Gösmann. Außerdem: CASHFLOW: Frei sein muss man sich leisten können. Wie das gelingt. Holger Stark: „Blicken viel zu selten in den Maschinenraum der Macht.“ Geldquellen: Welche helfen, welche gefährden den Journalismus?
Foto: Michael Kappeler / dpa

Das gesamte Interview mit Holger Stark können Sie im „medium magazin“ 04/24 lesen. Dort klären wir auch die Frage, welche Geldquellen dem Journalismus helfen – und welche ihn gefährden. Beispiel dpa: Die Deutsche Presse-Agentur feiert ihren 75. Geburtstag bescheiden mit Bratwurst und Festschrift. Gleichzeitig entbrennt eine Diskussion über staatliche Fördergelder und deren Einfluss auf die Unabhängigkeit des Medienunternehmens. Außerdem in dieser Ausgabe: Das SPEZIAL „Cash für Freie“. Denn so schön die Selbstständigkeit sein kann, sie hat einen Preis, den man sich leisten können muss. Wie sieht die Realität für freie Journalisten aus? Welchen Tagessatz soll man aufrufen? Wie muss man für das Alter vorsorgen? Wie funktioniert die VG Wort? Und kann man mit Texten im Ausland noch einmal Geld verdienen? Das neue „medium magazin“ ist ab sofort digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.