09 – Sonderpreis für politische Berichterstattung
Stefan Kornelius, Leiter Außenpolitik Süddeutsche Zeitung
Die Begründung der Jury: „Mit dem Beitrag „Er hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge“ veröffentlichte Stefan Kornelius am 12. Dezember erstmals Details des geheimen ISAF-Berichts – des Schlüsseldokuments in der Aufklärung des Bombardement-Befehls in Kundus/Afghanistan. Kornelius stellte in sachlichem Ton den Sachverhalt klar, enthielt sich weitgehend jeder Wertung und begründete mit dieser Darstellungsart einen erheblichen Teil der Folgewirkung des Berichts. Gleichwohl die „Bild“-Zeitung mit der Veröffentlichung des Feldjäger-Berichts am 26.11. den ersten Stein dieser Debatte ins Rollen brachte, ist die Mehrheit der Jury der Meinung, dass der „SZ“-Bericht zum zentralen Beitrag wurde, der die eigentliche Tragweite des Themas ins öffentliche Bewusstsein rückte – nämlich die Frage nach dem künftigen deutschen Selbstverständnis beim Einsatz militärischer Gewalt. Zudem dokumentierte Kornelius darin und in seinen begleitenden Kommentaren Journalismus in seiner Kernaufgabe – Details zusammenzutragen, zu analysieren und daraus, abseits von jedem politischen Lagerdenken, Orientierung zu vermitteln. Da dieser Beitrag erst nach der Nominierungsfrist erschienen ist, konnte er nicht in die reguläre Jurywertung aufgenommen werden und erhält daher einen Sonderpreis.“
Die Laudatio (O-Ton) am 14.01.2010 von Jurymitglied Wolfgang Kaden, ehem. u.a. Chefredakteur von „Spiegel“ und „manager-magazin“:
„Der Sonderpreis geht an Stefan Kornelius, den Leiter des außenpolitischen Ressorts bei der „Süddeutschen Zeitung“, für seinen Beitrag über den Isaf-Bericht vom 12. Dezember.
Als Wirtschafts- und Unternehmensjournalist habe ich gelegentlich die Kollegen aus der Politik beneidet. Die Recherche in Unternehmen ist nun mal ungleich schwerer als die in der politischen Szenerie. Unternehmen können sich ohne große Schäden fürs Geschäft abschotten, Politiker hingegen brauchen für den Erfolg Medienkontakte.
Es gibt allerdings einen Bereich in der Politik, das habe ich während meiner Korrespondenten-Zeit in Bonn erfahren, der ebenso wenig kooperativ ist wie es die Unternehmen sind: das Verteidigungsministerium. Dort ist ja grundsätzlich erst mal alles „geheim“, weil es dem Feind nutzen könnte (welchem auch immer) und weil es um die Sicherheit des Vaterlandes geht. Mit diesem Argument lässt sich dann auch vieles vor der Öffentlichkeit verbergen, was gar nicht sicherheitsrelevant ist, was aber der politischen oder der militärischen Führung des Hauses schaden könnte.So wurde, natürlich, der 500 Seiten lange Bericht der Isaf zu dem Luftangriff auf die beiden Tanklastzüge am Kundus-Fluß mit dem „geheim“-Stempel versehen. Manches über den Duktus dieses Reports sickerte durch, aber Handfestes gelangte nicht in die Öffentlichkeit. In eine Öffentlichkeit, die zunehmend irritiert ist über den Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch; über den Kampfauftrag, unter dem das deutsche Militär in dem asiatischen Land agiert.
So war es ein echter Scoop, als am 12. Dezember in der SZ ein ausführlicher Beitrag über den Isaf-Bericht erschien, mit vielen wörtlichen Zitaten – und einer klaren Erkenntnis: dem deutschen Oberst Klein ging es bei dem Bombenangriff nicht um die Tanklastzüge sondern um die Menschen dort. „Er hat die Menschen als Ziel, nicht die Fahrzeuge“ lautete die Überschrift, ein Zitat aus dem Report.
Es war ein ganz und gar nüchterner Bericht über den Bericht, den Stefan Kornelius da verfasst hatte. Fast schon zu nüchtern, zu bescheiden in der Aufmachung, wenn man bedenkt, dass Kornelius sich sogar den Hinweis erspart hatte, dass es ihm und der SZ exklusiv gelungen war, Einblick in dieses Dokument zu erhalten.
Dass diesem Kollegen diese Enthüllung gelang, ist wahrlich kein Zufall. Er hatte sich schon vor Kundus in das Problem Afghanistan und den Bundeswehr-Einsatz vertieft und im Juni vergangenen Jahres ein Buch zum Thema veröffentlicht. Titel: „Der unerklärte Krieg – Deutschlands Selbstbetrug in Afghanistan“ – ein Buch, wie Kornelius selber sagt, „über all die Verlogenheiten und Ungereimtheiten des deutschen Einsatzes“.
Über die Aussage des Buchs wundert sich heute keiner mehr. Im Rückblick auf das Datum der Veröffentlichung – lange vor Kundus nämlich, als Afghanistan für die meisten Deutschen verdammt weit weg lag – darf man sagen: schon da marschierte Kornelius ganz an der Spitze, weit vor den meisten anderen.
Mit dem Öffentlichmachen des Isaf-Berichts aber hat er der innenpolitischen Debatte über den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch eine Wende gegeben. Seither lässt sich nicht mehr bestreiten, dass deutsche Soldaten dort gezielt Feinde bekämpfen und sich somit in einem Kriegseinsatz befinden. Seither wird, wie Annette Milz jetzt in ihrem Editorial schrieb, über „das militärische Selbstverständnis Deutschlands“ diskutiert, über eine Frage, „die weit über das tagesaktuelle Geschehen hinausweist.“.
Lebten wir noch in den sechziger Jahren, als Konrad Ahlers und Rudolf Augstein nach der SPIEGEL-Titelgeschichte „bedingt abwehrbereit“ in Haft genommen wurden, dann säße Stephan Kornelius jetzt womöglich im Gefängnis, in U-Haft wegen des Verdachts, ein militärisches Geheimnis verraten zu haben. So aber sitzt er hier bei uns im Warmem und darf sich feiern lassen für ein Stück allerbester journalistischer Recherchen- und Aufklärungsarbeit.“