Frauen wird gemeinhin nachgesagt, sie seien emotionaler als Männer. Sie könnten spontanere Entscheidungen fällen und besser improvisieren. Solche Eigenschaften braucht man im Radio. Ist es also Zufall, dass die vordersten Plätze in der halbjährlichen Media-Analyse Radio (MA) regelmäßig von Radio NRW, Antenne Bayern und WDR 4 belegt werden-alles Sender mit Frauen im Chefsessel? Nur im jüngsten Radio-Ranking hat SWR 3 die Welle WDR 4 vom dritten auf den vierten Platz verwiesen. Elke Schneiderbanger glaubt, dass etwas dran ist an der These von der weiblichen Intuition am Mikrofon. „Radio ist das unmittelbarste Dialogmedium. Die Hörer rufen an und du musst auf sie reagieren, das können Frauen vielleicht tatsächlich etwas besser“, sagt die Geschäftsführerin und Programmdirektorin von Radio NRW. WDR4-Wellenchefin Rena Pieper widerspricht vehement: „Das hat gar nichts mit dem Geschlecht, sondern mit Intelligenz, Empfindungsvermögen und Persönlichkeit zu tun.“
Erfolg im Schatten. Die Frauen, die im Fernsehen wichtige Chefsessel erobert haben, sind so selbst zu Medienstars und so etwas wie Vorzeigefrauen für die Branche geworden. Anke Schäferkordt leitet den größten privaten Fernsehsender RTL, Monika Piel die größte ARD-Anstalt WDR. Dagmar Reim ist Chefin des Hauptstadtsenders RBB. Und Catherine Mühlemann leitet mit MTV, Viva, Nick und Comedy Central gleich vier Spartensender. Schneiderbanger kennt eine Aufstellung, nach der circa fünf Prozent aller Hörfunk- und Fernsehsender von Frauen geleitet werden. „Die im Fernsehen-das sind alles bekannte Frauen“, sagt die 48-Jährige, „aber nicht, weil sie Frauen sind, sondern weil sie erfolgreich Fernsehsender leiten.“ Noch immer habe Radio den Charakter eines Nebenbeimediums. „Dabei wird im Radio besonders professionell gearbeitet, Fehler kann man sich live am wenigsten leisten.“
Ein Medium, das man nur hören kann, wird leichter übersehen – das gilt in besonderem Maße für Schneiderbangers eigenen Sender. Denn Radio NRW ist eigentlich gar kein richtiger Sender, sondern eher eine Dame ohne Unterleib. Das liegt an der besonderen Radiolandschaft in Nordrhein-Westfalen. Neben den sechs landesweiten Hörfunkwellen des WDR (fünf reguläre und eine mit auch fremdsprachlichen Programmen) ist NRW in 45 Radiosendegebiete mit jeweils einer privaten Lokalstation aufgeteilt. In der Regel rund fünf bis sechs Stunden täglich füllen die Sender lokal, doch auch das Mantelprogramm Radio NRW in Oberhausen, wo auch die zentrale Musikredaktion sitzt, läuft unter der Kennung der jeweiligen Lokalradios. Das führt zu der schizophrenen Situation, dass Radio NRW zwar in der Branche als Sender existiert, im Bewusstsein seiner eigenen Hörer aber nicht. „Für unser eigenes professionelles Selbstverständnis ist es aber wichtig, dass wir denken wie ein Sender und arbeiten wie ein Sender“, sagt Schneiderbanger.
„Nichts Anrüchiges“. Rena Pieper musste in Köln ein professionelles Selbstverständnis erst einmal aufbauen, denn WDR 4 haftet in Teilen immer noch das Image des Hausfrauen- und Omasenders an. Als der Kanal 1984 auf Sendung ging, füllte er sofort eine Marktlücke. Die wenigen Wortanteile der Welle kreisen überwiegend um Buch- und Kochtipps, Gesundheits- und Verbraucherthemen. Vor allem Hörer jenseits der 50 lieben WDR 4. Viele Jüngere wenden sich mit Grausen ab. Doch der Sender muss sich um seinen Hörernachwuchs nicht sorgen. Solange die Alterspyramide Kopf steht und private (Oldie)-Spartenradios in NRW keine UKW-Lizenz erhalten, wird es WDR 4 nicht an Fans mangeln, die sich hier ihre tägliche Dosis Musik aus ihrer Jugend abholen.
Solch einem Sender in der eigenen Rundfunkanstalt und draußen im Sendegebiet den ihm gebührenden Respekt zu verschaffen, das reizte Rena Pieper, als sie die Leitungsposition übernahm. „Natürlich machen wir ein deutsches Schlagerprogramm, aber das ist ja nichts Anrüchiges.“ Die typisch deutsche Einteilung in ernste und unterhaltende Musik hält sie für überflüssig, weil mit U oft herablassend „seicht“ gemeint ist. „Und weil ich auch E-Musik sehr oft U finde und eigentlich nur etwas gegen schlechte Musik habe.“ Energisch verwahrt sie sich dagegen, dass deutsche Schlager, darunter auch selten gespielte Schellack-Raritäten, in einem Topf geworfen werden mit den Retortenprodukten der volkstümlichen Hitparaden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Auch Coverversionen werden bei WDR 4 nur dann gespielt, wenn sie besser sind als das Original. Und das, so findet Pieper, sei nur selten der Fall.
Bei WDR 4 öffnet dafür das musikalische Multitalent Götz Alsmann in seiner Sendung „Go, Götz, go!“ seinen prall gefüllten Plattenschrank mit Schlagern, Swing, Jazz oder Rockabilly. Schlagersänger Chris Howland legt wie zu Beginn seiner Karriere Platten auf und im „Beatcafé“ hört man die Beatles, Hollies, Kinks und Stones. So oft wie möglich ist die 55-jährige Wellenchefin bei WDR 4-Live-Konzerten dabei und moderiert mitunter auch vor Ort. Eine Reminiszenz an alte Zeiten: Als Radiosprecherin saß sie früher täglich am WDR-Mikrofon und die Live-Bühne ist ihr als ehemaliger Schauspielerin ebenfalls vertraut. Heutzutage gelten die Jubelrufe des Publikums natürlich nicht ihr, sondern Max Raabe, den Protagonisten der Evergreen-Show „Lang, lang ist’s her“ oder den Stars der WDR 4 „Schlagerstarparade“. Pieper hat es geschafft, dass bunt beklebte Sonderzüge ganze Waggonladungen voller Fans ausspucken. Die schwenken auf dem Weg zu einer der zahlreichen WDR 4-Veranstaltungen gemeinsam Fähnchen in der Innenstadt, singen Schlager und finden das gar nicht peinlich. „Unsere Hörer sind teilweise genauso fanatisch wie die von Eins Live“, sagt Pieper. „Die einen hängen sich die Toten Hosen an die Wand, die anderen Jürgen Marcus. Wo ist da der Unterschied?“
Strukturerneuerung. Mit Imagefragen muss sich auch Valerie Weber häufig befassen. Immer wieder tritt die Programmchefin von Antenne Bayern in Ismaning bei München in Podiumsdiskussionen die Vorwärtsverteidigung an. Der häufig geäußerte Vorwurf: Der Sender schneide vor allem dank möglichst vieler und simpler Gewinnspiele in der halbjährlichen MA so gut ab. „Das ist absoluter Blödsinn“, seufzt die 41-Jährige. Mit zahlreich plakatierten Gewinnspielen könne man zwar neue Hörer auf den Sender aufmerksam machen. „Aber ob sie dann dranbleiben, darüber entscheidet allein das Programm, die Qualität der Musik, der Sendungen und der Moderatoren.“ Als Weber vor gut drei Jahren zu Antenne Bayern kam, führte sie als Erstes ein konsequentes stündliches Formatraster ein, das nur am Wochenende vom Schema abweicht. „Es kann nicht sein, dass wir dienstags um 16 Uhr Country spielen und donnerstags um 16 Uhr Rock“, sagt Weber. „Die Zeiten, wo sich Hörer in einer Programmzeitung da-rüber informiert haben, was im Radio läuft, sind längst vorbei.“ Zur Verblüffung des Teams schaffte sie damals auch die häufige Rotation der Moderatoren ab. Wer mittlerweile zu einer bestimmten Zeit Antenne Bayern einschaltet, weiß nicht nur, was, sondern auch wer ihn erwartet. „Vertraute Stimmen und innovative Ideen sind eine perfekte Mischung für einen Radiosender“, glaubt Weber.
In puncto Innovationen muss sich Antenne Bayern wahrlich nicht verstecken. Schon seit 1995 sendet das Digitalradio Rock Antenne als Pionier im DAB-Standard. Als einer der ersten Radiosender experimentierte Antenne Bayern mit Podcasts und deren Vermarktung an Werbekunden. Inzwischen laufen einige Podcasts unabhängig von On-Air-Formaten unter dem Antenne Bayern Label. Über das Konsortium Digital 5 von fünf Privatsendern, an dem auch Antenne Bayern beteiligt ist, hat sich der Sender um die Teilnahme am DVB-H-Pilotprojekt beworben. In Berlin wird Antenne Bayern im Rahmen eines Pilotprojektes über DVB-T ausgestrahlt, und beim DMB-Projekt, das vor einem Jahr in Regensburg startete, sind sowohl Antenne Bayern als auch die Rockantenne dabei. Angebote beider Sender kann man auch auf dem Handy abrufen, mit zusätzlichen Slideshows und Videoclips. Dazu kommen Live Streams
im Web und neuerdings auch Mobile Streams fürs Handy.
Zukunftsmusik. Bei solch einer Fülle von Aktivitäten außerhalb des klassischen Radios verwundert es nicht, dass Weber die Hörfunkredaktion der Zukunft vor allem als Contentlieferanten für diverse digitale Plattformen ansieht, die neue Zielgruppen anziehen und abtrünnige zur Rückkehr bewegen sollen. Bis vor Kurzem liefen den deutschen Radiosendern in Scharen die jungen Hörer davon. Erst in diesem Jahr konnte der Trend gestoppt und teilweise sogar umgekehrt werden. Die Digitalisierung wird die Radiolandschaft verändern, davon ist Valerie Weber überzeugt. Wenn jedoch der Hörfunk diese Entwicklung aktiv mitgestalte, dann könne die Digitalisierung des Radios die Medienlandschaft verändern. „Natürlich wollen wir Radiomacher, wenn wir ehrlich sind, am liebsten unser derzeitiges begrenztes, aber wohl sortiertes Radio-Homeland verteidigen und wir neigen dazu, die neuen Techniken gerade mal als weiteren Vertriebsweg zu unserer UKW-Verbreitung zu sehen“, gibt Weber zu. Doch die Zeiten seien vorbei. „Künftig wird nicht überall Radio drin sein, wo Radio draufsteht.“
So weit wie in Ismaning ist die digitale Zukunft bei den anderen beiden Sendern noch lange nicht fortgeschritten. WDR 4 gibt es auch als Live-Stream im Internet und die Programm begleitenden Seiten von WDR4.de kommen auf einige hunderttausend Seitenaufrufe monatlich. Die Schlagerwelle bietet aber nur vier Podcasts mit Servicethemen an. Der Rest des Programms ist Musik und kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht zum Abruf freigegeben werden. „WDR 4 ist natürlich Teil des gesamten digitalen Marschkonzepts des Westdeutschen Rundfunks“, betont Pieper. Die Speerspitze bilden allerdings andere WDR-Wellen, zum Beispiel WDR 5. Die reine Wortwelle experimentiert seit dem Frühjahr mit dem „Podcast first“-Prinzip und hält 36 Podcasts auf ihrer Homepage bereit. Innovativer als WDR 4 ist natürlich auch die Jugendwelle Eins Live, die zum Beispiel das Webradio Eins Live Kunst produziert. Radio NRW macht online ebenfalls nicht viel her – die Website ist eine reine Übersichtsseite mit Programmschema, News und Kontaktadressen. Es gibt weder ein Webradio noch Podcasts, solche Features bieten allein die NRW-Lokalradios auf ihren eigenen Webseiten an. Bei digitalen Experimenten hält sich Radio NRW aber auch aus wirtschaftlichen Erwägungen bewusst zurück. „Fakt ist, dass es derzeit weder genügend viele Endgeräte im Markt noch tragfähige Geschäftsmodelle gibt“, gibt Elke Schneiderbanger zu bedenken.
Obwohl Radio NRW im inhaltlichen und wirtschaftlichen Korsett des Rahmenprogramm-Zulieferers steckt, hält Schneiderbanger das NRW-Hörfunkmodell für erfolgreicher als die kommerzielleren Varianten in anderen Bundesländern. Nicht weil ihr außer dem mächtigen WDR jede weitere kommerzielle Sender-Konkurrenz erspart bleibt. „Wir sind sogar im Gegenteil dort am erfolgreichsten, wo Radio FFN oder FFH an den Rändern NRWs von außen einstrahlen“, betont sie. Sondern deshalb, weil der Radiowerbemarkt begrenzt ist. „Mehr Sender bringen nicht mehr Geld, sondern nur mehr Halligalli.“ Der tägliche Kampf um die Hörerquote wird an Rhein und Weser etwas weniger hart ausgefochten als in Hamburg, Berlin oder Bayern. Die gängigen Modewellen, das Rauf und Runter bei den Wortanteilen und Phasen mit einer Flut von Gewinnspielen habe Radio NRW deshalb nie mitgemacht. Und auch wenn Teens und Twens lieber Eins Live als Radio NRW hören, glaubt Schneiderbanger an das mediale Beharrungsvermögen: „Kinder werden mit ihren Eltern beim Radiohören sozialisiert, dann entwickeln sie ihren eigenen Musikgeschmack, und später kommen sie wieder zurück.“
Privatleben. Diese Feststellung bezieht sich auf den Nachwuchs ihrer Hörer – nicht auf den eigenen. Kinder hat keine der drei Radiochefinnen. Schneiderbanger hat sich nicht bewusst gegen Kinder entschieden. Sie kennt auch in ihrem Bekanntenkreis keine einzige Managerin, die das getan hätte. Es sei eigentlich immer das Gleiche, meint sie: „Es gibt nur ein kleines Zeitfenster zum Kinder kriegen.“ Gerade im Alter zwischen 30 und 40 könnten Frauen mit beruflichen Ambitionen nicht auf einen Halbtagsjob umsteigen.
Schneiderbanger pendelte zum Moderieren jahrelang wöchentlich von München nach Hamburg und zurück. Valerie Weber volontierte parallel zum Studium und war schon vier Jahre später Programmleiterin. Antenne Bayern ist ihr sechster Radioarbeitgeber. Auch sie musste privat Opfer bringen. „Den Tribut an die Karriere zahlt in erster Linie die Beziehung. Ein Partner muss schon sehr flexibel sein, um alle drei bis vier Jahre einen Ortswechsel mitzumachen.“ Die Antenne-Bayern-Programmchefin lebt allein. Rena Pieper war zweimal verheiratet, ist aber ebenfalls kinderlos geblieben. „Mit Kindern hätte ich nicht Vollzeit gearbeitet“, sagt sie. „Kinder, die ihre Tagesmutter besser kennen als die eigene Mutter-das hätte ich komisch gefunden.“
„Kinder sollten Akademikerinnen am besten gleich nach dem Studium bekommen“, rät Schneiderbanger jungen Kolleginnen. Berufliche Ratschläge hätten diese jedoch heutzutage kaum nötig, glaubt sie. Vor 20 Jahren seien Männer ins Bewerbungsgespräch gegangen mit der Haltung, ich kann alles, ich weiß alles. „Frauen drucksten herum: Ich weiß nicht, ob ich mir das zutraue und eigentlich will ja auch etwas anderes.“
Früher hätten Redakteurinnen, die keine Chance für eine persönliche Weiterentwicklung sahen, gekündigt, ohne vorher das Gespräch mit Vorgesetzten zu suchen. „Heute bewerben sich Frauen selbstverständlich auf die gleichen Positionen wie Männer. Und Männer beurteilen ihre Fähigkeiten realistischer, da hat sich bei beiden Geschlechtern eine Menge getan“, urteilt die Radio NRW-Chefin. Rena Pieper betont, dass der WDR eine aktive Frauenförderung betreibt, dennoch zähle auf der Karriereleiter natürlich in erster Linie die Qualifikation. Und Valerie Weber rät jungen Journalistinnen, sich nicht gleich am Anfang der Ausbildung und Karriere die großen Sender oder Verlage auszusuchen. Dort verlaufe der Aufstieg gebremster. „Meine Erfahrung ist, je kleiner die Radiostation, desto eher darf man oder frau sich selber auch die Hörner abstoßen, und das macht bekanntlich am reifsten.“
Erschienen in Ausgabe 9/2007 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 29 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.