Reden wir doch endlich mal über die Inhalte. Fragen wir uns doch, ob unsere Leser wirklich das wollen, was wir ihnen da tagtäglich anbieten. Lösen wir uns von der elenden Diskussion, ob das Internet, ob die sozialen Medien Freund oder Gegner sind. Stellen wir uns der Tatsache, dass die Auflagenerosion der deutschen Regionalzeitungen schon zu einer Zeit begann, als DSL-Verbindungen noch teurer Wunschtraum von verspielten Nerds waren. Schon vor 15 Jahren, vor 20 Jahren schrieben wir an vielen unserer Leser vorbei. Warum? Längst waren die alten Freund-Feind-Muster aufgelöst, längst war unsere Gesellschaft bunt und vielfältig geworden. Und doch stellten wir Journalisten in der Zeitung die Gesellschaft immer noch dar wie in den 50er und 60er Jahren. Wir verkauften unsere Leser für dumm, indem wir ihnen eine Welt erklärten, die es schon längst nicht mehr gab. Kein Wunder, dass die Leser anfingen, uns den Rücken zu kehren.
Ist es wirklich relevant, zu jeder Jahresversammlung zu gehen und zu berichten, wie der Vorsitzende eines Vereins mit 150 Mitgliedern das abgelaufene Jahr lobt, wie er über Veranstaltungen und Erfolge spricht, die entweder längst in der Zeitung standen, weil sie wichtig waren, oder eben nicht, weil sie allenfalls ein paar Vereinsmitglieder interessieren? Nein, ist es nicht. Und trotzdem füllen solche selten gut geschriebenen Artikel bis heute landauf, landab die knapper gewordenen Seiten lokaler Zeitungen.
Der „Nordbayerische Kurier“ in Bayreuth veröffentlicht seit gut einem Jahr solche Texte ausschließlich in einer wöchentlichen Beilage. „Mein Verein“ erscheint im Halbformat, ist angedockt an ein verlagseigenes Internetportal (das ist der „Mehrwert“ für die Vereine) und bis zu 64 Seiten stark. Die Texte sind nicht journalistisch bearbeitet, sondern werden von studentischen Aushilfskräften Korrektur gelesen. Unsere Reporter haben dadurch Freiräume, sich um die wirklich wichtigen Themen zu kümmern, jene Themen, die die Leser interessieren, die sie betreffen.
Natürlich gab es Proteste. Gerade unsere freien Mitarbeiter in den Dörfern mussten und müssen sich bis heute viel Kritik anhören. Von Vereinsvorständen und Bürgermeistern, von jenen Interessensgruppen also, die abstreiten wollen, dass sie als bloße Grußwortredner nicht mehr wichtig genug sind, um in der täglichen Zeitung erwähnt zu werden.
Reden wir über Neugierde:
Sie muss die Triebfeder unseres Handelns sein. Wer nicht die Welt erklären will, hat in unserem Beruf nichts verloren. Ein Negativbeispiel ist in vielen Lokalzeitungen bis heute die kommunalpolitische Berichterstattung. Welcher Stadtrat und Verwaltungsmitarbeiter was behauptet, ist selten relevant, wird aber oft detailliert beschrieben. Auch das Ergebnis einer Abstimmung ist nur bei heiklen Themen von Bedeutung. Wichtiger für die Leser ist doch, wie kommunalpolitische Entscheidungen sie persönlich betreffen. Um wie viel steigen ihre Ausgaben beim Abfall – und Antworten auf Fragen wie: Hätte es nicht auch eine Lösung gegeben, die ihm diese Mehrbelastung erspart hätte? Politik von den Folgen her zu denken ist mühsam. Es erfordert hohen Rechercheaufwand. Vor allem aber müssen wir kompetent genug sein, um die Prozesse im Hintergrund zu verstehen, die Verantwortlichkeiten und Motive hinter den Entscheidungen zu durchschauen. Wir müssen nicht jeder Bürgerinitiative hinterherlaufen. Der Blick aufs große Ganze und die Einordnung sind entscheidend. Aber, seien wir ehrlich, in das 36,5-Stunden-Konzept des Redakteurs-Tarifvertrags passt Extraaufwand in Zeiten schmaler Redaktionsbesetzungen nicht hinein.
Reden wir über Leidenschaft:
Kaum ein Beruf kann es mit dem des Journalisten aufnehmen. Wir lernen die Welt auf eine Weise kennen wie niemand anders. Wir haben Privilegien, dürfen Antworten erwarten, wo andere nicht mal in der Lage sind, Fragen zu stellen. Aber: Wir sind auch geachtete Mitspieler an der Spitze der Gesellschaft. Das tut der Eitelkeit gut. Doch es schadet unserem Auftrag, sofern wir nicht bereit sind, auch mal verachtet zu werden. Unser Job ist es, Missstände aufzudecken, korrupte Netzwerke trocken zu legen, uns zu streiten. Wie oft aber schauen wir weg, lassen uns einlullen? Und dann wundern wir uns, wenn uns die Leser nicht mehr ernst nehmen. Wir verstehen es nicht, dass uns langjährige Abonnenten nicht mehr haben wollen, weil sie uns für korrupt halten. Leidenschaft als journalistische Grundtugend ist hingegen eine von eben solchen Lesern bewunderte Qualität. Und eben auch das: Skandale als Skandale zu bezeichnen, aber zugleich Maß zu halten und Probleme im richtigen Kontext einzuordnen, statt täglich eine neue Sau durchs Dorf zu treiben.
Reden wir über Haltung:
Kleinmütigkeit nehmen uns die Leser übel, diese langweiligen, weit verbreiteten Sowohl-als-auch-Kommentare, geschrieben in dem Bestreben, ja niemandem wehzutun. Es erfordert tatsächlich Überwindung, einen Oberbürgermeister in aller Deutlichkeit infrage zu stellen, wohl wissend, dass man ihm und seinen Spießgesellen am nächsten Tag wieder über den Weg läuft. Und den Geschäftsführer des kommunalen Großklinikums auf Preisgabe seines Jahresgehalts vor dem Verwaltungsgericht zu verklagen, ist auch unbequem. Denn dieser Mann ist Mitglied im selben Lions-Club wie der Verleger (und übrigens auch der inzwischen abgewählte Bayreuther Oberbürgermeister). Aber, und das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, die Leser danken einem diese Streitbarkeit. Und sie belohnen den Journalisten mit Vertrauen in die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Zeitung. Wenn der Oberbürgermeister und der Klinik-Chef ihre Zeitungsabos kündigen (und stattdessen den Einzelverkauf stärken), ist dies eine Bestätigung für das eigene Handeln. Genauso wichtig ist aber, dass wir unsere Leser fordern. Wir müssen sie mit unseren Kommentaren provozieren, sie zwingen nachzudenken über gesellschaftliche Prozesse. Nur so bringen wir Debatten in Gang, verbinden Entscheider und Betroffene, erzeugen Druck, um Lösungen zu finden, die für die örtliche Gemeinschaft die bestmöglichen sind.
Die lokale Zeitung ist wie ein Facebook im Lokalen (sofern wir das tatsächliche Facebook auch als Plattform nutzen). Wir können unserer Region eine Identität geben. Wir bringen die Menschen über Erfolge zusammen, wenn es Erfolge gibt, und wir vermitteln ihnen das Gefühl, dass sie ihre lokale Community bereichern. Wir sind im Dialog mit den Lesern, fragen sie, was sie erwarten, ziehen sie zurate und nutzen ihre Kompetenz. Nie war es einfacher als heute, mit den Lesern Kontakt zu halten. Die Schnelligkeit und die immer leichtere Nutzbarkeit der digitalen Kanäle haben sie uns näher gebracht. Hören wir darauf, was sie zu sagen haben.
Reden wir über unsere Rolle:
Über die plötzliche Hinwendung der ganzen Branche zum Lokalen, während zugleich noch immer zwischen angeblichen Qualitätszeitungen und den Lokalzeitungen unterschieden wird. Mit welcher Berechtigung? Journalismus ist nicht deshalb gut, weil er unter dem Label „Spiegel“ oder SZ erscheint und dessen Macher sich bisweilen gewaltig selbst überschätzen. Wir Lokaljournalisten sind mehr denn je Ideengeber und Recherchehilfe für die überregionalen Medien. Warum? Weil wir manchmal tatsächlich ganz nah dran sind, die kontroversen Themen selbst anpacken und die Demokratie vor Ort am Leben halten.
Reden wir über Veränderungsbereitschaft:
Ein ganz dunkles Kapitel in fast allen Redaktionen. Hier die Journalisten, die Neues ausprobieren, die gebotenen Chancen in der digitalen Vielfalt ergreifen wollen – dort die Kollegen, die glauben, sie könnten weitermachen wie bisher, die soziale Netzwerke ablehnen, weil sie sie für Geschwätz halten. Sie sind die Spaltpilze in den Redaktionen. Sie demotivieren auch die engagierten, leidenschaftlichen Reporter. Wir können sie uns auf Dauer nicht leisten. Gefragt sind daher Chefredakteure und Geschäftsleitungen, die den Konflikt und den finanziellen Einsat
z nicht scheuen und bereit sind, den Unbelehrbaren die Augen für neue Berufsfelder zu eröffnen – außerhalb der Redaktionen.
Inhalte, Neugierde, Leidenschaft, Haltung, Gemeinschaft, Bereitschaft zur Veränderung – Zeitungen, die sich an diesen Qualitäten orientieren, also wörtlich genommen Qualitätsjournalismus treiben, haben eine Perspektive für die Zukunft. Die gedruckte Zeitung mag in ein paar Jahren nur noch eine Randerscheinung sein. Aber guter Journalismus wird in der Demokratie dauerhaft gefragt sein.
Das setzt voraus, dass wir selbst an unser Produkt glauben. Wir müssen aufhören, es an jene zu verschenken, die gerade einen neuen Staubsauger oder Einkaufsgutschein haben wollen. Wir dürfen unsere Inhalte nicht länger im Internet gratis anbieten. Was nichts kostet, ist nichts wert. Wenn wir den Lesern die richtigen Inhalte anbieten, bezahlen sie auch dafür. Dafür brauchen wir einen neuen Pakt zwischen Redaktionen und Verlagen. Wir brauchen das Vertrauen in den Journalismus und dessen Fähigkeit, den Wandel zu gestalten, statt die Redaktionen weiter kleinzusparen. Wir brauchen die Bereitschaft der Journalisten, Grenzen neu zu definieren, neue Geschäftsfelder zu eröffnen und die Chancen der Digitalisierung wahrzunehmen. Wir müssen den Lesern zeigen, dass guter Journalismus – egal auf welchem Kanal – relevant ist für die Weiterentwicklung unserer freiheitlichen Gesellschaft. Und: Geschäftsführungen und Chefredaktionen müssen sich den Problemen offensiv stellen. Denn der Fisch stinkt immer vom Kopf.
2013 wird dafür ein entscheidendes Jahr.
Der Autor
Joachim Braun
Der gebürtige Niedersachse (*1965) hat 35 Jahre in Oberbayern verbracht, davon 13 Jahre als Redaktionsleiter des „Tölzer Kurier“. Seit März 2011 ist er Chefredakteur des „Nordbayerischen Kurier“ in Bayreuth. Für seine Engagement auf verschiedenen Ebenen hat ihn die „medium magazin“-Jury zum „regionalen Chefredakteur des Jahres“ 2012 gewählt (siehe auch Seite 26). Über seine Erfahrungen und Pläne in Bayreuth schreibt Joachim Braun auch in seinem Blog: http://ankommen.nordbayerischer-kurier.de/
Erschienen in Ausgabe 01-02/202013 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 42 bis 43 Autor/en: Joachim Braun. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.