Journalismus von oben

Achtung, Kopf einziehen! Nachdem inzwischen nur noch wenige Journalisten am Nutzen von Social Media zweifeln und auch Datenjournalismus in den meisten Redaktionen kein Fremdwort mehr ist, soll schon der nächste große Trend buchstäblich im Anflug sein. Wenn man einigen technikbegeisterten Journalisten glauben darf, geht der Journalismus bald in die Luft. Bei gleich zwei Konferenzen zu Online-Journalismus im September in Bonn und Hamburg machten die Journalisten große Augen, als ihnen Kameradrohnen vorgeführt wurden. Die Fluggeräte eröffnen nicht nur Fotografen neue Perspektiven. Enthusiasten glauben, dass sich damit ganz neue Recherchewege auftun; und wähnen schon das Zeitalter des Drohnenjournalismus gekommen. Was steckt hinter dem Hype um die fliegenden Augen?

Ganz banal steht Drohnenjournalismus für die Gewinnung von Informationen aus der Luft. Das kannte die Öffentlichkeit bisher eher vom Militär. Dort werden die entweder von einem Computerprogramm oder einem Piloten ferngesteuerten Mini-Flugkörper zur Aufklärung, aber auch als Waffe eingesetzt. Kein Wunder, dass der Begriff „Drohne“ nicht unbedingt positiv besetzt ist. Doch inzwischen gibt es die unbemannten Luftfahrzeuge, wie sie bei Fachleuten eigentlich heißen, auch für den zivilen Einsatz. Günstige Modelle kosten etwa 300 Euro und sind im gut sortierten Elektrofachmarkt erhältlich. Angesichts der Drohne für jedermann beschwören Kritiker dieser Technik schon Überwachungsszenarien von orwellschem Ausmaß. Tatsächlich ist der Einsatz von Drohnen sowohl rechtlich als auch ethisch nicht unproblematisch. Trotz dieser Bedenken glaubt der freie Journalist Marcus Bösch aber an das Potenzial von Drohnen. Auf der Webseite drohnenjournalismus.de sammelt er zusammen mit dem freien Journalisten Lorenz Matzat Informationen zu dem Thema und macht sich natürlich auch selbst Gedanken, was man mit den Geräten alles anstellen könnte.

„Drohnen taugen für mehr als nur für schöne Bilder von oben“, meint der multimedial erfahrene Reporter Bösch. Ein klassisches Szenario für den Drohneneinsatz ist der Katastrophenfall, in dem es darauf ankommt, das Ausmaß der Schäden zu kennen und darüber zu informieren. US-Medien haben Drohnen bereits eingesetzt, um Tornadogebiete zu erfassen. Aber auch ein Hochwassergebiet in Deutschland könnte ein Fall für eine Drohne sein. Ein regionales Medium könnte seinen Lesern so präsentieren, welche Straßen es besonders schwer erwischt hat und welche glimpflich davongekommen sind, ohne erst auf die Auskünfte der Behörden warten zu müssen. Kombiniert mit anderen Tools wie Google Maps ergeben sich viele Möglichkeiten für eine multimediale Berichterstattung. Bösch hält zukünftig auch eine Art Live-Street-View für denkbar. Medien könnten Drohnen auch nutzen, um jederzeit aktuelle Straßenkarten von ihren Verbreitungsgebieten zu erstellen, ganz unabhängig von Google und anderen Diensten. Doch es muss gar nicht immer eine Kamera an einer Drohne hängen. „Man könnte auch Messgeräte oder Sensoren daran befestigen und zum Beispiel die Emissionen eines Kraftwerks damit überprüfen“, sagt Bösch. Die ursprüngliche Funktion von Drohnen als Spionagegeräte können sich investigative Journalisten durchaus zunutze machen. Viele Gedankenspiele also, doch noch fehlt das bahnbrechende Beispiel für den journalistischen Einsatz von Drohnen, sieht man mal von fragwürdigen Paparazzi-Fotos ab.

Auch in den USA, dem Vorreiterland für Medienentwicklungen, steht der Drohnenjournalismus noch am Anfang. Immerhin: Eine Stiftung gewährte dort jüngst 50.000 Dollar Kapital, um das Potenzial von Drohnen im Journalismus auszuloten. Mit einer Mischung aus Neugier und Neid blickt auch Bösch auf das Projekt „Drone Journalism Lab“, von dem er sich einige Impulse erwartet. Von einem vergleichbaren Projekt in Deutschland kann er aber nur träumen. Er und Matzat betreiben ihre Seite weiter als reines Hobby. Für Testzwecke begnügen sie sich derzeit noch mit der Sparvariante unter den Drohnen, der „AR Drone“.

Fliegen per Smartphone

Dieses einfache, mit einer HD-Kamera ausgestattete Gerät ist ein Grund für den derzeitigen Drohnenhype. Gesteuert wird die AR Drone mit einer App via Smartphone oder Tablet. Damit können die aufgenommenen Clips sofort ins Netz hochgeladen werden. Das macht die AR Drone zu einer Art Flip-Kamera für die Luft. Die kleine Taschenkamera machte vor wenigen Jahren das Videofilmen fürs Internet populär und war eine zeitlang bei vielen Redaktionen im Einsatz. Sie war günstig und leicht zu bedienen, zwei Attribute, die auch auf die AR Drone zutreffen. Die bekommt man schon für weniger als 300 Euro, das Fliegen damit ist schnell erlernt. Allerdings hat die AR Drone noch etwas mit der Flip gemeinsam: Wer professionell damit arbeiten will, stößt sehr schnell an Grenzen. So nimmt die Drohne (noch) keinen Ton auf. Ihr Akku reicht nur für wenige Minuten Flugzeit, zusätzlich wird die Reichweite durch die Verbindung ans Smartphone begrenzt. Wer ganze Häuserblocks überfliegen will, wird mit der AR Drone schnell auf den Boden der Tatsachen geholt. Professionelle Drohnen erfordern allerdings auch etwas mehr an Investition: Der Hersteller Micro-Drones etwa nennt als Einstiegspreis für ein Drohnensystem rund 8.000 Euro.

Skepsis bei TV-Profis

Oder man greift gleich auf einen Dienstleister zurück, der sich damit auskennt. Bei Fernsehproduktionen ist das schon seit einigen Jahren üblich. Beim WDR kamen Drohnen nach eigenen Angaben bislang 10- bis 15-mal zum Einsatz, für Sendungen wie „Quarks & Co.“ oder die „Lokalzeiten“. Einer, der schon Erfahrung mit Drohnen hat, ist ZDF-Regisseur Andreas Ewels. Ende September lief seine Dokumentation „Abenteuer Rhein“, für die ein Großteil der Aufnahmen mit unbemannten Fluggeräten gemacht wurde. Zum Einsatz kamen ein ferngesteuerter Zeppelin und ein „Octocopter“, eine Drohne mit acht Propellern. Ewels schätzt vor allem die visuellen Möglichkeiten, die diese Geräte bieten. Ungewöhnliche Perspektiven, für die früher ein Helikopter hätte starten oder ein Kran gemietet werden müssen, lassen sich nun kostengünstiger und mit weniger Aufwand umsetzen. Manche Einstellungen, wie dynamische Flüge in Bodennähe, sind auch erst durch Drohnen möglich geworden. Dennoch glaubt Ewels nicht, dass bald jede Redaktion über eine eigene Drohne verfügen wird: „Ich sehe nicht viele Einsatzmöglichkeiten für diese Technik, die auch den Aufwand rechtfertigen würden.“ Nur um eine Demonstration auch mal von oben anstatt immer nur von unten fotografieren oder filmen zu können, lohnt sich seiner Meinung nach nicht die Anschaffung einer Drohne. Und Ewels gibt noch einen wichtigen Aspekt zu bedenken: „So eine Drohne muss man auch fliegen können. Die sind ja nicht leicht zu beherrschen.“

Beim ZDF steuerte ein erfahrener Modellpilot die Drohne. Denn technisch sind AR Drone oder Octocopter nichts anderes als Modellhubschrauber mit mehreren Rotoren. Vom Prinzip her kann daher jeder Journalist problemlos eine Drohne starten, erklärt Christoph Bremer vom Deutschen Modellfliegerverband. „Wenn das Fluggerät einen Elektroantrieb hat und weniger als fünf Kilo wiegt, ist das ohne Genehmigung erlaubt.“ Allerdings nur auf dafür vorgesehenen Freiflächen. Einfach mal eine Demonstration oder eine Fußgängerzone zu überfliegen, geht wegen der Gefahr für Menschen durch einen Absturz nicht ohne Weiteres. Bremer warnt außerdem vor allzu großem Übermut. Zwar ist die Steuerung einer kleinen AR Drone schnell gelernt. „Mit größeren Geräten wie einem Octocopter sollte man aber nicht einfach losfliegen“, sagt Bremer. Um sich mit der Steuerung vertraut zu machen, empfiehlt es sich, ein paar Stunden auf einem Modellflugplatz zu üben. Erst recht, wenn parallel noch gefilmt oder fotografiert werden soll.

Wer eine Drohne fliegt, bewegt sich außerdem nicht im rechtsfr
eien Luftraum. Ein Privat- oder Firmengrundstück zu überfliegen und dabei auch noch zu filmen, ist trotzdem Hausfriedensbruch. Auch die allgemeinen Grundsätze des Datenschutzes und Persönlichkeitsrechts können nicht einfach umflogen werden. Dass also demnächst Schwärme von Drohnen den Himmel über Deutschland verdunkeln, steht angesichts dieser Einschränkungen nicht zu befürchten. Andererseits hat es dem Journalismus noch selten geschadet, sich mit den Möglichkeiten einer neuen und einfach verfügbaren Technologie genauer zu beschäftigen.

Moritz Meyer

ist freier Journalist in Köln.

mail@moritz-meyer.net

Erschienen in Ausgabe 10+11/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 45 bis 45. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.