Ein freier Autor schreibt eine Reportage. Die Redaktion meldet sich nach einer Weile und bittet um Änderungen. So geht es eine Weile hin und her. Am Ende erscheint der Text und der Autor ist unglücklich mit dem Ergebnis. Das, was da steht, findet er, hat mit seinem Text nichts mehr zu tun.
Eine Geschichte wie diese kennt jeder Journalist, und zwar aus eigener Erfahrung. Ach was, mindestens eine. Und eine Geschichte wie diese endete im vergangenen Jahr damit, dass der Autor Christian Jungblut gegen das Magazin „Geo“ vor Gericht zog. Ende Oktober 2010 gab ihm das Landgericht Hamburg recht. Dagegen hat „Geo“ Berufung eingelegt. Irgendwann im Frühjahr wird wieder ein Urteil fallen.
Da es sich um ein schwebendes Verfahren handelt, das Urteil nicht rechtskräftig ist, kann die detaillierte Beurteilung des Ganzen derzeit nur Stückwerk bleiben. Aber Textexegese ist nicht einmal nötig, um ein paar grundsätzliche Schlüsse zu ziehen – für Freie wie für Redaktionen. Denn die Geschichte über Jungblut und „Geo“ ist weit mehr als die eines einzelnen frustrierten Schreibers gegen ein großes namhaftes Magazin, eine „Printmarke“, wie es so schön heißt. Der Fall erzählt auch etwas darüber, wie sich das Verhältnis zwischen Redaktionen und Autoren geändert hat. Es verwundert daher kaum, dass die Entscheidung den Freien einen Selbstbewusstseins-Schub verpasst hat. Die langen Kommentarschwänze unter Online-Beiträgen von Stefan Niggemeier oder auf der Seite des Freischreiber-Verbands zum Fall sprechen Bände über die Situation und Befindlichkeiten in der Branche. Die große Trennlinie verlief hier zwischen denen, die argumentierten, es gehe darum, einen Text besser zu machen, und den anderen, die auf der Stimme des Autors beharrten, die es zu bewahren gelte, und zwar unabhängig von einer Gut-Schlecht-Wertung.
Wie soll und darf also redigiert werden? In einer Passage im Autorenvertrag, die das Gericht in der Entscheidung zitiert, heißt es: Die Redaktion dürfe in den Text eingreifen, „soweit diese Bearbeitung den Sinn des Beitrags nicht unzumutbar verändert“. Nur: Wo fängt „unzumutbar“ an? In Prozentzahlen lässt sich so etwas schlecht messen – es gilt die alte Regel: Frage fünf Redakteure und du bekommst sechs Meinungen. „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede geht von objektiven Qualitätsmaßstäben aus, eine schiefe Metapher bleibe nun einmal eine schiefe Metapher. Er wehrt sich gegen den Eindruck, bei ihnen „käme jeder Text in den OP-Saal“. Bei vielen Arbeiten gehe es „allenfalls um Marginalien, an denen man noch putzen könnte. Und bei manchen nicht einmal mehr um das Verrücken eines Semikolons.“ Ihm sei kein Fall bekannt, in dem „Geo“ Ansehen und Karriere eines freien Autors durch Redigatur geschädigt hätte.
Persönlicher Stil hin, objektiv feststellbare Fehler her: Im Kern dreht sich diese Geschichte um die Frage, wem der Text „gehört“. Bezugspunkt ist das „Urheberpersönlichkeitsrecht“, das in den Paragrafen elf bis 14 des Urhebergesetzes geregelt wird. „Ein sehr europäisches Konzept“, sagt Stephan Zimprich, Anwalt für Medien und IP, „der Ausdruck der Persönlichkeit steht hier im Vordergrund. Nicht wie beim anglo-amerikanischen Copyright, das in erster Linie wirtschaftlich argumentiert.“ – „Es geht bei dieser Zusammenarbeit nicht um Unterwerfung oder Herrschaftsausübung“, so Gaede. „Es geht um die Ansprüche, die ein Monats-magazin an einen Reportage-Text haben darf und muss.“
Und hier wird der erste Aspekt klar, den das Gericht nicht mit einbezogen hat:
Das Urteil bezieht sich explizit auf „Geo“ – und lässt damit notwendigerweise Punkte aus, die in anderen Verlagen, anderen Erscheinungsrhythmen wichtig sind. So geht es nicht auf das legitime Bedürfnis vieler Magazinmacher ein, im Heft eine einheitliche Schreibe, einen homogenen Tonfall abzubilden. Eine Haltung, die dem Anspruch eines vielstimmigen Autorenblatts notwendigerweise zuwiderläuft. Und zum anderen ist der Redaktionsalltag eines Monatsmagazins wie „Geo“ nicht zu vergleichen mit der Tagesproduktion einer Lokalzeitung. Ganz zu schweigen von den Ansprüchen an die Texte. Jeder, der schon einmal tagesaktuell produziert hat, kennt die Schwiergkeiten, unter hohem Zeitdruck Änderungen an Texten mit den jeweiligen Autoren im Detail abzustimmen, meist reicht es nicht einmal, mit ihnen zu telefonieren. Dennoch, zur Qualitätssicherung und einer gedeihlichen Zusammenarbeit wäre es allemal besser.
taz-Redakteur Sebastian Heiser hat sich genau das zum Prinzip gemacht. Grund ist ein Lapsus, der ihm während eines seiner Produktionsdienste unterlaufen war. Der Text der freien Mitarbeiterin musste fertig werden, der Redaktionsschluss nahte, es galt, aus dem vorhandenen einen noch besseren Text zu machen. Hinterher meldete sich die Autorin, die ursprünglichen Aussagen seien verdreht – Heiser fiel aus allen Wolken. In Absprache mit der Autorin kommentierte er ihren Blogeintrag zum Thema, machte seinen Fehler bei taz.de öffentlich, als er Bilanz zog und seine eigene Arbeit bewertete. Dieser Fall tauchte in der Kategorie „Flops“ auf. Wenn Heiser jetzt redigiert, greift er also meist zum Hörer, für Tageszeitungen ist der direkte Weg meist der schnellste. So lassen sich offene Fragen „live“ während der Redigatur klären.
Folgen des Urteils. „Geo“-Chef Gaede sagt: „Da wir die Sache als in jeder Hinsicht „eigenartig” betrachten, gehen wir auch nicht davon aus, dass sie allgemeine Konsequenzen haben wird.“ Dennoch lässt sich einiges verallgemeinern, Zimprich sieht in dem Urteil zwei klare Aufforderungen an Redaktionen: Zum einen sollen sie die gelieferten Texte nicht als Rohmaterial begreifen. Zum anderen sollen sie sich früher beim Autor zurückmelden und Änderungsbedarf klar formulieren. „Es bringt wenig, wenn Autoren mit dem Urteil wedeln und genauso wenig, wenn Redaktionen sagen: Wir machen so weiter wie zuvor.“ Zwischen „Nichts darf geändert werden“ und „Kein Stein bleibt auf dem anderen“ ist schließlich jede Menge Spielraum. Im Extremfall stelle das Urteil, sollte es so Bestand haben, ein Risiko für die Redaktionen dar, sagt Zimprich. Rein theoretisch könnten Autoren unfertige Texte abliefern und sagen: „Das dürft ihr nicht verändern, das ist mein Stil.“ Denkbar, wenn auch rechtlich nicht unproblematisch, wäre, dass Verlage ihre Autorenverträge anpassen: „Als geschuldete Leistung müsste fortan das ‚Rohmaterial‘ gelten, nicht das fertige Produkt.“ Folge: Die Redaktionen hätten noch mehr Arbeit, die freien Journalisten wären nur mehr Informanten.
Wolfgang Michal liest noch etwas anderes aus dem vorläufigen Urteil: „Die Autoren haben ganz klar das Recht, ein Veto einzulegen, wenn sie ihren Text so nicht veröffentlicht sehen wollen.“ Er selbst hat früher alles mit Bleistift korrigiert, erzählt er: „Man muss sich ja erst einmal mit dem Stil des Schreibers vertraut machen.“ Heute laufe alles über E-Mails statt persönlicher Absprachen, Texte würden „weggebürstet“: „Das Handwerk ist der Fabrikarbeit gewichen.“
Interessanterweise gab es laut Zimprich sehr lange kein Urteil zu diesem Thema – keiner zog vor Gericht. Jungblut ist 65. Er habe nichts mehr zu verlieren gehabt, sagen manche, jüngere würden diesen Schritt nicht wagen, aus Angst, den Auftraggeber zu verlieren – und andere noch gleich dazu. Dass er nichts zu verlieren hatte, stimmt natürlich nicht ganz. Jungblut schreibt seit 1976 für „Geo“. Er heuerte als Steuermann auf einem Supertanker an, fuhr wochenlang einen Chemielaster, alles für seine Reportagen. Er sei früher meistens in die R
edaktion gegangen, erzählt er, dort saß man dann nebeneinander über den Text gebeugt: Was heißt das? Findest du gut, wie ich das gedreht habe? „Die Kultur der Zusammenarbeit hat sich geändert“, beklagt Jungblut. Und in der Tat: Ein Redakteur, der den Autor zur Besprechung des Beitrags in die Redaktion bittet – das klingt heute wie eine Szene aus einer anderen, versunkenen Welt.
Der Fall „Geo“ mag speziell sein, die Diskussionen darüber zeigen vor allem eines: Bei der Zusammenarbeit von Freien und Festen ist in den vergangenen Jahren einiges in Schieflage geraten. Beide Seiten profitieren davon, daran etwas zu ändern. Für Redaktionen heißt das: Respektiert den Stil eurer Autoren, beschränkt das Redigieren aufs Notwendigste. Und an die Autoren gerichtet: Seid kompromissbereit! Man muss „auf Augenhöhe“ agieren, wie „brand eins“-Chefredakteurin Gabriele Fischer es gerne formuliert. Gerade weil sich die Rahmenbedingungen in der Branche verschärft haben. Wie so oft macht auch hier der Tonfall die Musik.
Medium:Online
Das Urteil des Landgerichts Hamburg ebenso wie weitere Stimmen zum Umgang zwischen Redaktionen und freien Autoren finden Sie unter www.mediummagazin.de
Lesetipp
Aus der „medium magazin“-Reihe Journalisten-Werkstatt:
„Richtig redigieren“ von Peter Linden / Christian Bleher / Steffen Sommer
Bezug: vertrieb@mediummagazin.de,
Kosten: 3,10 Euro zzgl. Versandkosten
Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 66 bis 67 Autor/en: Anne Haeming. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.