Wenn der Körper schlapp macht

Journalisten bezeichnen ihre Arbeit als „Traumberuf“ – und würden sie immer wieder wählen. Zugleich verfluchen viele ihren Job fast wöchentlich, weil er sie so stresst. Manche macht der Dauerstress sogar krank. „Journalisten gehören immer öfter zu unseren Patienten“, sagt Prof. Dr. Götz Mundle, ärztlicher Geschäftsführer der Oberbergkliniken, die sich auf die Behandlung von Burnout, Depression, Angst und Abhängigkeit spezialisiert haben.

Was belastet Journalisten so, dass sie trotz der Freude am Job mit der Zeit ihre Kräfte erschöpfen? Zwei Faktoren kommen zusammen: Zum einen arbeiten Medienschaffende unter sehr belastenden Arbeitsbedingungen: Zeitdruck, Unsicherheit, mangelnde Wertschätzung, ständig neue Aufgaben, Informationsflut. Dazu kommt eine typische Journalisten-Eigenschaft, die einen im Job voranbringt, aber der Psyche unter Umständen schaden kann: ein sehr hohes Leistungsideal. Wa- rum der Ehrgeiz Gift für die Psyche sein kann, erklärt Burnout-Experte Mundle so: „Jahrelang wurde das große Engagement von Journalisten auch groß honoriert: durch Anerkennung, Sicherheit und Gehalt. Die Balance funktionierte. Heute ist das anders. Unsichere Arbeitsplätze und unsichere Lebenssituationen sind die Norm.“ Journalisten tendieren nach Mundles Beobachtung dazu, diese Veränderung in der Welt zu ignorieren – und starr an ihrem beruflichen Leistungsideal festzuhalten: „Sie verpassen so die Chance, sich einen Ausgleich für die fehlende Sicherheit in der Medienbranche zu schaffen.“ Und das ist für die Psyche extrem belastend. „Die Kombination aus hohem Leistungsideal und den veränderten Arbeitsbedingungen macht Journalisten zu einer hoch gefährdeten Gruppe für ein Burnout“, erklärt Mundle.

Der Führungsstil in vielen Medienunternehmen heizt den Stress dabei zusätzlich an: „Ein zynischer Ton, persönliche Angriffe, sprunghafte Meinungswechsel sind bei vielen Chefredakteuren normal“, weiß Mediencoach Ralf Dannemeyer. Die Folge: Unsicherheiten werden geschürt und damit die Tendenz, sich für den Job aufzuopfern. Dannemeyer war selbst 13 Jahre Journalist, bevor er gemeinsam mit seiner Frau die Beratungsfirma „Perspektiven – Institut für Mentaltraining“ in Weimar und Hamburg gründete. Er schult Betriebsräte in vielen großen Medienhäusern und berät Journalisten und Führungskräfte in Verlagen in Krisensituationen. Betroffen sind laut seiner Einschätzung und einer Studie von Judith Pfeuffer unter dem Titel „Macht der Journalistenberuf krank?“ von 2005 vor allem drei Gruppen von Journalisten, für die es ganz unterschiedliche Wege aus der Krise gibt. Die gezeigten Fallgeschichten sind zufällig zusammengestellt. Die Symptome der weiblichen Führungskraft finden sich ebenso häufig auch bei männlichen Kollegen, das Gleiche gilt natürlich für die Gruppe der freien Journalisten. Nur von der Doppelbelalstung von Familie und Beruf sind Frauen nach wie vor überproportional häufig betroffen.

1. Die leitende Redakteurin:

Bei der ersten Übelkeitsattacke dachte sie noch, dass sie sich den Magen verdorben hatte. Als ihr vor der nächsten Konferenz wieder schlecht und schwindelig wurde, machte sie den Jetlag vom Transatlantikflug dafür verantwortlich. Erst beim dritten oder vierten Mal fiel der leitenden Redakteurin Petra S. auf, dass ihr jedes Mal übel wurde, wenn die Redaktions-Konferenz anstand. Und es wurde von Mal zu Mal schlimmer. Wochenlang kämpfte sie dagegen an. Ging trotz Herzklopfen und Schweißhänden in den Konferenzraum und präsentierte ihre Themen für das nächste Heft – und hoffte, dass der Chef nicht wieder eine abfällige Bemerkung über ihre Auswahl machte. Nach dem Meeting war sie jedes Mal fertig für den Rest des Tages. Die Kollegen merkten zum Glück nichts. Sie tat allerdings auch alles, um ihre Arbeit trotz der Angst- attacken zu schaffen: Sie arbeitete über Mittag, abends und am Wochenende. Ihrem Mann erzählte sie, dass sie einfach mehr tun müsse, um sich gegen die junge Konkurrenz durchzusetzen. Schließlich hatte der Chef schon ein paar Mal angedeutet, dass Fitness eigentlich ein Ressort sei, das in junge Hände gehöre. Und sie war 39.

Dann wurde Petra S. krank. Ein fiebriger Infekt, dachte sie, und ging trotzdem in die Redaktion. Ihr Mann musste sie regelrecht zwingen, zum Arzt zu gehen. Diagnose: Lungenentzündung. Zwei Wochen Bettruhe. Als eine gute Freundin sie besuchte und fragte, wie es denn sonst so gehe, brach sie in Tränen aus und erzählte in einem Schwung alles. Von ihren Panikattacken und den schlaflosen Nächten. Und dass sie überlege, den Job hinzuschmeißen. Die Freundin empfahl ihr, erst einmal mit einer befreundeten Psychologin zu sprechen, um zu klären, was im Job wirklich schief läuft. Schon nach dem ersten Termin war Petra S. klar: Panik und Immunschwäche waren mehr als harmlose Zipperlein. Weitere Untersuchungen zeigten: Sie war körperlich und psychisch völlig ausgezehrt. Diagnose: Erschöpfungssyndrom. Auch Burnout genannt.

Erste Hilfe:

„Krisensitzungen“ bei einem Psychiater. Danach entschloss sie sich für eine stationäre Behandlung in einer spezialisierten Klinik. Ihr Arzt schrieb sie für sechs Wochen krank – direkt im Anschluss an die Lungenentzündung.

Und dann?

In einer der Oberberg-Kliniken durch-lief Petra S. in fünf Wochen das 3-Stufen-Programm für Burnout-Betroffene:

1.Körperliche Erholung + ärztlicher Check.

2.Analyse – Wie kam es zum Burnout? Täglich tiefenpsychologisch orientierte Einzelgespräche (1 Stunde). Themen: Berufliche, familiäre und persönliche Situation; persönliches Wertesystem; Verhaltensmuster aus der Kindheit etc. Dazu täglich Gruppensitzungen (2 Stunden). Themen: Umgang mit anderen Menschen, Kon- flikten etc.

3.Der individuelle Weg aus der Krise. Hier klärte Petra S. die Frage, wie sie ihr Leben wieder positiv und aktiv gestalten kann. „Nonverbale“ Therapietechniken spielten dabei eine besondere Rolle: Malen, Körpertherapie und Entspannungsübungen. „Burnout-Klienten sind typischerweise sehr verkopft“, erklärt Mediziner Mundle. Sie hören nicht auf die Zeichen ihres Körpers. Der Effekt: „Der Kopf rennt immer weiter, aber der Körper, der dran hängt, macht schlapp.“ Die Therapie hilft dabei, wieder einen Bezug zum eigenen Körper und zu den eigenen Emotionen zu entwickeln – und dadurch auch frühe Zeichen von Überlastung zu erkennen, wenn man wieder in den Job zurückgeht.

„Die Genesung von einer Burnout-Krise ist ein langfristiger Prozess“, weiß Mundle. Schließlich muss man zum Teil sehr alte und fest sitzende Denk- und Verhaltensweisen ändern, um sich langfristig vor dem Ausbrennen zu schützen. Die meisten Klienten gehen deshalb auch nach dem vier- bis achtwöchigen Klinikaufenthalt weiter in ambulante Therapie.

2. Der Selbstständige:

Der Artikel muss bis morgen raus! Bernd F. rauft sich die Haare und tippt weiter. Es ist nach 24 Uhr. Aber er hat dem Auftraggeber versprochen, dass er den Text morgen hat. Er konnte ja nicht wissen, dass ihm dieser PR-Job dazwischenfunken würde. Dringlich, natürlich. Aber dafür wenigstens gut bezahlt. Dafür war er jetzt mit dem Artikel auf den letzten Drücker. Seine Verabredung hat er schon abgesagt. Morgen kann er wenigstens ausschlafen. Leider wacht er schon um fünf Uhr wieder auf. Bernd F. dreht sich im Bett um. Zu heiß, zu kalt. Er grübelt, ob der Text jetzt gut ist. Hätte er doch noch den zweiten Experten befragen sollen? Was, wenn der Redakteur nicht zufrieden ist. Würde er wieder mit ihm arbeiten. Genervt steht Bernd F auf. Trinkt Kaffee und verscheucht die trüben Gedanken mit der Zeitung. Wenn er ehrlich ist, geht das schon seit Monaten so: Aufträge gibt es. Aber wenn sie gut bezahlt sind, sind sie öde und meist so dringlich, dass alles andere im Leben verschwindet. Sind sie interessant, sind sie schlecht bezahlt und er kann sich nicht die Zeit nehmen, sie so gut zu recherchieren, wie er es gerne tun würde. Richtig sicher im Job fühlt Bernd F. sich eigentlich nie, obwohl er schon seit drei Jahren al
s Freier arbeitet und alle sagen, dass seine Artikel wirklich gut sind.

Erste Hilfe:

Trotz Geldsorgen nimmt sich Bernd F. eine Woche frei und fährt zu einer Freundin aufs Land.

Und dann? „Journalisten arbeiten heute in extrem unsicheren Rahmenbedingungen. Deshalb ist es für sie besonders wichtig, ein stabiles, inneres Geländer‘ zu haben“, erklärt Burnout-Experte Mundle. Das Bild des „inneren Geländers“ beschreibt ein Gefühl für den eigenen Selbstwert, das ganz unabhängig vom Job besteht. Das setzt allerdings voraus, dass man seine innersten Bedürfnisse kennt – und auch Beziehungen und Interessen außerhalb der Arbeit pflegt. Mundle empfiehlt Journalisten ein Minimalprogramm für die psychische Gesundheit:

* zwei Mal in der Woche pünktlich Feierabend machen

* ein freier Tag pro Woche

* ein bis zwei Abende pro Woche mit Partner/engen Freunden verbringen

* regelmäßige Auszeiten: zum Beispiel ein bis zwei Mal Sport pro Woche (feste Termine ausmachen!)

* regelmäßige Mahlzeiten

* regelmäßige Pausen im Arbeitsalltag – schon fünf Minuten reichen

* regelmäßiger Ausgleich für Geist und Seele, z. B. Yoga, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, spazieren gehen oder Thai Chi. Wichtig ist, dass die Mental- übung dazu führt, dass man in dieser Zeit nicht über Themen und Artikel nachdenkt.

3. Die Journalistin und Mutter:

Morgens die Kinder in den Kindergarten bringen, das geht ja noch. Konferenz ist ja erst um zehn. Aber sie um 17.30 Uhr abzuholen, das ist jeden Tag die Hölle, findet Ulrike T. Ihr Mann ist nachmittags häufig unterwegs und kann auch nicht helfen. Und offiziell ist sie mit ihrer reduzierten Arbeitszeit ja auch um 16.30 fertig. Trotzdem kommt sie immer erst kurz vor knapp aus dem Büro. Und sie merkt, dass ihre Kräfte langsam nachlassen. Im Büro funktioniert sie. Die Arbeit geht ihr leicht von der Hand, die Kollegen sind nett, der Chef ok. Aber zu Hause verliert sie oft die Nerven. Sie meckert dauernd mit den Kindern und am Wochenende wartet sie ungeduldig auf den Mittagsschlaf der Kleinen. Dann arbeitet sie. Und hat dabei ein schlechtes Gewissen, weil der Haushalt liegen bleibt.

Freie Zeit für sich selbst hat Ulrike T. schon seit Monaten nicht gehabt. Und mit ihrem Mann bespricht sie nur noch praktische Fragen des Alltagslebens. Zärtlichkeit? Spaß? Fehlanzeige. Wie auch, wenn beide so viel arbeiten? Dann, sie fährt mit einer Kollegin zu einem Termin, fragt diese: „Sag mal, was ist eigentlich los mit Dir? Du siehst echt beschissen aus. Und ich hab‘ dich schon ewig nicht mehr lachen sehen.“ Ulrike wehrt ab. Sie habe schlecht geschlafen. Aber abends im Bett wird ihr klar: Die Freundin hat recht. Sie fühlt sich wirklich schlecht. So kann es nicht weitergehen. Job hin oder her. Etwas muss sich ändern.

Erste Hilfe:

Ulrike T. organisiert einen Babysitter, der einmal pro Woche die Kinder von der Kita abholt und mit ihnen zu Abend isst. In der Zeit geht sie zum Sport und in die Sauna. Endlich eine Verschnaufpause.

Und dann? Ulrike T. macht einen fünftägigen Kurs „Work-Life-Balancing“ für berufstätige Mütter, den die Krankenkasse empfiehlt. Im Kurs schreibt sie zum ersten Mal genau auf, welche Aufgaben sie rund um Job und Familie zu erledigen hat – inklusive Zeitaufwand. Am Ende hat sie eine lange Liste – und eine 70-Stunden-Woche. „Berufstätige Mütter denken sehr häufig, dass sie sich besser organisieren müssten, um den Stress in den Griff zu bekommen. Aber im Laufe des Seminars merken sie, dass sie ziemlich gut im Organisieren sind, aber dass sie besonders in der Familienarbeit zu wenig Entlastung haben“, erklärt Christina Zimmermann, Psychologin und eine der Leiterinnen der Burnout-Präventions-Seminare für Mütter und Väter. Ulrike T. hat nach dem Kurs mit ihrem Mann ausgemacht, dass er drei Mal in der Woche die Kinder in der Kita abliefert und das Sonntagnachmittags-Programm übernimmt. Endlich hat sie wieder das Gefühl: Ich weiß, was ich will und steuere mein Leben selbst.

Schritte statt Sprünge. Jede große Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt. Diese Weisheit gilt auch, wenn es um die psychische Gesundheit geht. Natürlich kann niemand seinen Arbeitsstil und seine Verpflichtungen, seinen Chef oder seine Aufgaben von einem auf den anderen Tag ändern oder abschaffen. Aber man kann lernen, sich selbst und sein Befinden mehr im Blick zu haben – und so jeden Tag von Neuem zu einer guten Balance finden.

Lesetipps:

Hans-Peter Unger, Carola Kleinschmidt: Bevor der Job krank macht. Wie uns die heutige Arbeitswelt in die Erschöpfung treibt – und was man dagegen tun kann. Kösel, 2006, Euro 16,95

Jörg-Peter Schröder: Wege aus dem Burnout, Cornelsen Verlag Scriptor 2006, Euro 6,95

Linktipps

www.swissburnout.ch: Selbsttest: Leide ich an Burnout?

www.kompetenznetz-depression.de: Informationsportal rund um Depression (mit Arztsuche)

www.work-life-balancing.de: Burnout-Präventionskurse für berufstätige Mütter und Väter.

www.oberbergkliniken.de: Privatkliniken mit Standorten in Berlin-Brandenburg, Schwarzwald und Weserbergland. Spezialisiert auf Burnout. Neu seit 2008: Ambulante Therapieeinrichtung „Oberberg City München“.

www.vogelsbergklinik.de: Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, spezialisiert auf Burnout. Behandlungen werden von gesetzlicher Krankenkasse bezuschusst.

www.nlp-perspektiven.de: Coaching für Journalisten, Training für Führungskräfte und Betriebsräte (spezielle Erfahrung im Bereich Medien).

Erschienen in Ausgabe 3/2008 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 68 bis 71 Autor/en: Carola Kleinschmidt. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.