?Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Beitrag Anfang November in der „Zeit“; bekommen?
Gabriele Bärtels: In den ersten Tagen kamen sicher 100 bis 120 eMails, auch jetzt erhalte ich noch täglich welche. Die Hälfte davon stammt von ähnlich Betroffenen, die sich durch meine Geschichte entlastet fühlen, weil sie sich nicht länger als Einzelfall und Versager sehen müssen. Erstaunlicherweise kamen bei mir selbst zu 98 Prozent positive oder bestätigende Rückmeldungen an, während vor allem in Journalistenforen oft sehr kritisch argumentiert wurde, teilweise auch richtig gehässig. Es gab außerdem Interviewanfragen von Zeitungen und von einem Fernsehmagazin. Aber ich habe das meiste abgelehnt. Ich will nicht auf Dauer als armes Hascherl durch die Öffentlichkeit touren.
Wenn Sie nicht schreiben könnten, hätten sich die Debatten nach Ihrem Bericht in der „Zeit“; wahrscheinlich schnell erledigt. Aber Sie haben Preise gewonnen, das Internetmagazin „Frida“; produziert und Sie machen brillante Fotos. Wie erklären Sie sich, dass Sie von all diesen Talenten nicht leben können?
Ich glaube, das liegt an einer Vielzahl von Gründen, und nicht alle sind persönlich, so gern mich einige in diese Ecke stellen möchten. Ich habe erst mit 38 Jahren mit dem Journalismus angefangen – als totale Autodidaktin. Mit 32 hatte ich beschlossen, Schriftstellerin zu werden und schmiss dafür meinen alten Job hin. Ich war vorher vier Jahre lang Kauffrau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, aber die trockene Verwaltung und die Probleme in den sozialen Brennvierteln belasteten mich. Ich wollte vom Schreiben leben und konnte mir nicht vorstellen, dass das nicht möglich sein sollte. Dann habe ich meinen ersten Text an die „Elle“; gefaxt, ängstlich – denn damals waren Redaktionen für mich wie der Olymp. Nach drei Tagen rief der Textchef an, und sagte „Frau Bärtels, ein toller Text, daraus machen wir eine Titelgeschichte und Sie bekommen 2000 Mark.“;
Das war doch ein toller Einstieg …
Ja, daraufhin habe ich mir sofort einen Presseausweis besorgt und gesagt: „Ich bin jetzt Journalistin.“; Die ersten drei Jahre habe ich im Wesentlichen Frauenmagazine mit Texten per Fax befeuert, weil ich mich auf dem Terrain der Gesellschaftsthemen am sichersten fühle. Ich schreibe Porträts, gesellschaftspolitische Glossen, Reportagen und Geschichten über Psychothemen. Ich bin keine Fachautorin, schreibe aber auch nicht gerne über Sachthemen, sondern lieber über Menschen. Einige Jahre lang habe ich für alle gro- ßen Frauenmagazine gearbeitet: „Marie Claire“;, „Brigitte“;, „Cosmopolitan“;, „Petra“;, „Amica“;. Die genaue Liste steht auf meiner Website.
Die Liste ist in der Tat beeindruckend, die Liste Ihrer Journalistenpreise ebenfalls nicht schlecht …
Ist das nicht witzig? Ich fühle mich dennoch oft wie eine kleine Nuss. Hinzu kommt, dass das Schreiben für die Frauenmagazine immer eine halbe Lüge war. Viele meiner Themen fanden nicht ernsthaft Anklang. Alles muss dort flach, nett und harmonisch sein, eine bestimmte „Brigitte“;- und „Petra“; und „Amica“;-Sprache haben. Wenn man für ein Psychothema fünf Fallgeschichten suchen muss, sollen die Frauen alle möglichst gut aussehen. Der Fall darf nicht zu heftig sein, aber auch nicht zu harmlos. Eigentlich werden da Realitäten konstruiert. Aber wenn ich als Autorin meinen Namen unter etwas schreibe, dann will ich es verantworten können.
Viele freie Journalisten loben Ihren Mut, sich zu outen mit dem Honorar-Thema. Viele kritisieren aber auch, dass Sie Ihren Werdegang als schicksalhaft darstellen, als ob es nicht auch erfolgreiche Freie gäbe. Können Sie die Kritik verstehen?
Ja, teilweise sicher. Ich kann nur darauf hinweisen, dass ich einen subjektiven Text geschrieben habe. Er hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Der Text beschreibt meine Lage und die einer ganzen Reihe weiterer Journalisten. Es gibt sicher im Journalismus alle möglichen Formen und Hierarchien. Da gibt es die „Vogelfreien“;, die wie ich weit außen herumgurken, da gibt es feste Freie, vielleicht mit Pauschalistenvertrag. Manche sind gar nicht frei, die haben einen Schreibtisch in der Redaktion, bekommen aber keine Sozialbeiträge und keinen Urlaub, und dann gibt es die Festangestellten. Alle machen die gleichen Sachen und werden aber sehr unterschiedlich bezahlt und behandelt. Ich kann nur meine Facette schildern. Dass es erfolgreiche andere Journalisten gibt, will ich überhaupt nicht bestreiten.
… eben auch erfolgreiche freie Journalisten. Was machen die denn anders?
Stecke ich in denen drin? Ich kann nur sagen, was ich mache. Ich biete seit zehn Jahren nachhaltig und ständig Geschichten an und bekomme so gut wie nie eine Antwort, es sei denn, ich kenne die Redakteure lange. Es ist total schwer, Gehör zu finden. In diesen Chor stimmen eine ganze Reihe von Autoren ein, und das sind nicht alles schlechte.
Warum sind Sie für Ihre Redakteure nur eine eMail oder eine Stimme am Telefon? Haben Sie nie den persönlichen Kontakt gesucht?
Natürlich suche ich den. Ich bin auch in den Redaktionen gewesen, bei der „Brigitte“;, bei „Marie Claire“;, bei „Petra“;. Mit dem Ressortleiter der „Berliner Zeitung“;, für die ich regelmäßig schreibe, habe ich mich auch mal für zwei Stunden getroffen, aber das ist fünf Jahre her. Seitdem läuft alles über eMails.
Vielleicht sollten Sie die Kontakte mal auffrischen?
Wenn ich in Redaktionen anrufe und sage, ich will auf einen Kaffee zu euch kommen, dann antworten die: „Besten Dank, wir haben genug zu tun.“; Und das haben die Redakteure ja wirklich. Aber ich frage mich, warum es nicht zum Beispiel institutionalisierte regelmäßige Begegnungen gibt. Es wäre ja schon mal was, alle freien Journalisten, die das Blatt über das Jahr mit gefüllt haben, zur Weihnachtsfeier einzuladen.
Warum schreiben Sie so viele Texte ohne Auftrag? Warum klären Sie nicht vorher, zum Beispiel per Exposé, ob ein Bedarf an einem konkreten Text besteht?
Das ist unterschiedlich. Als ich anfing, habe ich ausschließlich fertige Texte angeboten. Ich hätte sonst auch keinen Stich gemacht, wenn ich mit 38 Jahren bei der „Elle“; angerufen hätte: „Hallo, ich habe noch nie was Journalistisches geschrieben, aber wollen Sie ein Exposé von mir?“; Meine Erfolge bei den Frauenzeitschriften hatte ich eigentlich nur, weil ich fertige Geschichten geschickt habe, die den Redakteuren gefielen. Ich bekomme durchaus Aufträge, wenige allerdings und vorwiegend von Kundenmagazinen.
Und die nehmen Sie auch an? Ja. Aber ich wollte lieber für seriöse Blätter schreiben.
Sind Kundenmagazine nicht seriös?
Das ist kein echter Journalismus, beziehungsweise eine merkwürdige Mischform zwischen Journalismus oder PR. Natürlich gibt es auch professionell gemachte Kundenmagazine, aber letztlich muss alles nett und harmlos sein. Was man wirklich in der Welt um sich herum sieht, darf man dort nicht schreiben. Und Lifestyle-Themen fallen mir nun mal nicht so viele ein. Auf Grund meines Beitrags in der „Zeit“; hat mich gerade ein sehr seriöses Kundenmagazin angesprochen. Das finde ich klasse, weil die professionell mit mir umgehen und gut zahlen. Ich habe ein paar Themenvorschläge eingereicht, die werden jetzt geprüft.
Wie sieht denn eine typische Karriere Ihrer Texte aus?
Nehmen wir mal meinen Text „Die letzte Lebenszeit“; in der „Berliner Zeitung“; vom 24. November 2007. Das sind sechs traurige und einsame Geschichten von alten Leuten in den letzten Jahren Ihres Lebens. Die habe ich im Sommer zusammengetragen – ich wohne hier in Berlin in einem Haus, in dem auch viele alte Leute leben. Ich habe das geschrieben, weil mich deren Situation berührt und mir Angst vor dem Altwerden macht. Das Wochenendmagazin der „Berliner Zeitung“; hat sie zunächst abgelehnt, Monate später konnte ich sie dann doch überzeugen. In der Zwischenzeit hatte ich sie an eine Ressortleiterin einer überregionalen Zeitung geschickt. Di
e rief mich innerhalb von zehn Minuten zurück und sagte, „Super, Frau Bärtels, toller Text, finde ich brillant, machen wir sofort nächstes Wochenende.“; Am Wochenende war der Text nicht drin, zwei Wochen und drei Wochen später auch nicht. Ich habe dann nachgefragt und bekam zur Antwort, mein Text sei ja so zeitlos, den könne man schieben. In der Themenkonferenz käme immer etwas anderes dazwischen. Aber er würde bestimmt gedruckt.
Das ging ungefähr acht Wochen lang so. Ich habe dann die Redaktionsleiterin gebeten, mir wenigstens das Honorar schon zu zahlen, denn ich bräuchte das Geld. Das wollte sie dann ausnahmsweise versuchen, es würde aber schrecklichen Schreibkram geben …
Warum machen Sie bei Honorarforderungen auf Mitleid?
Was heißt Mitleid? Ich brauche das Geld, das ist einfach wahr.
Es klingt aber Mitleid erheischend. Sie könnten den Spieß doch auch ganz selbstbewusst umdrehen, der Redaktion eine Frist von weiteren vier Wochen geben und falls der Text dann immer noch nicht erschienen ist, das Manus-kript zurückziehen.
Ich bin selbstbewusst aufgetreten: Ich empfinde es auch nicht als mitleidheischend, wenn ich betone, dass ich kein Geld habe und das Honorar dringend brauche. Eher habe ich das Gefühl, dass man das gar nicht oft genug betonen kann, denn einige Festangestellte scheinen sich nie darüber Gedanken zu machen, wovon ein Freier eigentlich lebt. Als ich diese Ressortleiterin fragte, wieso sie mir seit Wochen keine Antwort gab, antwortete sie: „Ich arbeite!“; Und was meint sie, was ich mache? Wenn ich anfange, Fristen zu setzen, dann können Sie sich darauf verlassen, dass ich innerhalb von vier Wochen für gar keine Zeitung mehr schreibe.
Wenn Sie mit all Ihren Aktivitäten nicht einmal auf Hartz IV-Niveau kommen, wovon leben Sie dann?
Ich lebe von den Honoraren, und ich habe Gott sei Dank Freunde, die mich notfalls unterstützen.
Es gibt Kurse für freie Journalisten, wo man die Kunst der Selbstvermarktung lernen kann.
Ja, Selbstvermarktung in einem bestimmten Stil. Und ich finde es ärgerlich, dass mir vorgeworfen wird, ich sei darin nicht gut genug, und von daher selber schuld an meiner Lage. Irgendwas muss ich schon richtig gemacht haben, sonst hätte ich nicht die Veröffentlichungen gehabt, die ich hatte. Schauen Sie sich meine Website an – die ist attraktiv. Auch „Frida“; hatte rund 700.000 Besucher, ziemlich viel Presse und anderthalb Preise. Das ist eine Art von Selbstmarketing. In meiner privat-beruflichen Umgebung bin ich dafür bekannt, dass ich Leute weiterempfehle, und das fällt gelegentlich auf mich zurück.
Jeder, der mit mir umgeht, hat das Gefühl, es mit einer verantwortungsvollen, höflichen, erfahrenen und selbstbewussten Frau zu tun zu haben. Ich weiß nicht, was ich da noch für Kurse besuchen soll. Ich wünschte mir, die Verlage würden einmal ihren Umgang mit Freien überdenken, anstatt eifrig Belege dafür zu suchen, dass ich alles falsch mache.
Haben Sie sich jemals um eine Festanstellung als Redakteurin bemüht?
Nein. Wenn schon, würde ich Chefredakteurin sein wollen. Ich bin nicht so gut darin, Anweisungen abzuarbeiten. Die Ideen kommen fast immer von mir und nicht als Aufträge von anderen. Meistens musste ich meine Themen dann aber so zurechtbiegen, wie die Redaktionen das wollten, und deshalb habe ich schon recht früh gemerkt, dass es besser wäre, ich hätte mein eigenes Magazin. Ich war drei Monate lang stellvertretende Chefredakteurin bei „Woman“; in Wien. Ein ziemlich oberflächliches Heft, das ich mitentwickeln sollte. Ich habe nach drei Monaten gekündigt, trotz hoher Bezahlung, weil ich gesehen habe, dass dort Journalismus und PR in einem unerträglichen Maße zusammengeworfen werden. Das kann ich mit meinen Vorstellungen von Authentizität und Aufrichtigkeit nicht vereinbaren. Ich kann nicht mitmachen, wenn in meine Texte reingeschrieben wird, in diesem Kosmetikladen ist alles ganz toll, und daneben prangt die Anzeige des Kosmetikladens.
Sie wollen sich nicht verbiegen?
Nein, und das finde ich auch berechtigt. Ich wundere mich nur, dass es nicht mehr Journalisten gibt, die das auch nicht wollen. Die meisten Freien machen Journalismus und PR, weil sie anders nicht über die Runden kommen. Auch ich mache also PR. Keinesfalls aber möchte ich beides vermischen. Wenn ich einen journalistischen Text veröffentliche, so habe ich eine Verantwortung gegenüber dem Leser. Auch wenn es naiv scheinen mag: Er soll glauben dürfen, dass dieser aus einer unabhängigen Position heraus geschrieben wurde. Dieses Verantwortungsgefühl scheint im Journalismus nicht überall Konsens zu sein.
Das Vollständige Interview, in dem sich Gabriele Bärtels u. a. auch zur Entstehungsgeschichte ihres „Zeit“;-Beitrags „Schreiben macht arm“; äußert, ist abrufbar unter www.mediummagazin.de, Rubrik Download.
Erschienen in Ausgabe 12/2007 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 60 bis 63 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.