Altersvorsorge: „Angst, etwas falsch zu machen“

Die Sorge vor Altersarmut treibt vor allem freie Journalistinnen und Journalisten um. 300 Euro pro Monat sparen – für manche ist das zu wenig, für andere hingegen klingt es utopisch. Wie geht man mit der Angst um?

Text: Olivia Samnick


Mehrere Hundert Euro monatlich solle sie in ihre Altersvorsorge investieren, riet man Joelle in ihrer Bank. Gerade war sie in ihre erste Festanstellung im Journalismus gestartet – und schon umwarb sie der Berater. „Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein Ernst sein? Ich hatte gerade das erste eigene Geld in der Tasche“, sagt sie. Und das solle jetzt üppig und direkt weggespart werden. Für jemanden wie Joelle, die gerade noch ein Ausbildungsgehalt von knapp 1.500 Euro gewohnt war und Lebenshaltungskosten in einer deutschen Großstadt zu zahlen hatte, sei das kaum machbar gewesen. Joelle, die eigentlich anders heißt, schlug den Vorschlag aus.

Ein paar Jahre später tut Joelle, inzwischen Mitte 30 und freiberuflich tätig, genau das: Sie legt rund 300 Euro monatlich zurück. Das Geld steckt sie in einen ETF-Sparplan, den sie sich selbst zurechtgelegt hat. Das Depot war zügig eingerichtet, die Kosten dafür überschaubar und den aktuellen Stand ihrer Anlagen kann sie jederzeit einsehen. „Vorsorge für Faule“, nennt die Freiberuflerin das.

Dabei wirken die Abwägungen, die ­Joelle für ihre Altersvorsorge trifft, alles andere als bequemlich. Joelle ist ein Arbeiterkind ohne Aussicht auf ein Erbe oder Immobilien. Sie hat in verschiedenen Konstellationen gearbeitet: fest angestellt, als feste Freie und nun eben als Freiberuflerin. Sie sagt, sie lebe sparsam, gehe kaum auswärts essen und müsse nur sich selbst versorgen. Trotz monatlich schwankender Einnahmen als Freie funktioniere das ganz gut. Doch die Sorge vor Altersarmut schwingt immer mit.

Und sie ist berechtigt, trifft Armut im Alter potenziell manche härter als andere: Ab dem Rentenalter liegt die Armutsgefährdungsquote bei Frauen bei 20,3 Prozent, bei den Männern sind es 15,9 Prozent. In Ostdeutschland und unter Menschen mit Migrationsgeschichte herrscht ebenfalls ein erhöhtes Altersarmutsrisiko. Repräsentative und unabhängige Untersuchungen zur Altersarmut im Journalismus fehlen bislang. Der Elefant steht also weiter im Raum: Wie rüstet man sich im Journalismus bestmöglich finanziell fürs Alter?

Der fehlende Durchblick

Der Weg zur maßgeschneiderten Altersvorsorge gleicht einem dichten Dschungel: „Viele Finanzprodukte sind komplex und teuer, es herrscht große Intransparenz, wie genau sich die Kosten zusammensetzen“, sagt Michael Ritzau. Er hat sich als unabhängiger Honorarberater darauf spezialisiert, Berufstätigen zu helfen, ihre Altersvorsorge zu planen. Seine klare Empfehlung: unbedingt auch privat vorsorgen. Bei seinen Beratungen erlebt er immer wieder Zurückhaltung, Sorge und Irritation rund um das Thema Altersvorsorge.

Diese Verunsicherung sei teilweise bewusst erzeugt, sagt Ritzau. Von Versicherungsunternehmen, die Umfragen mit dem Ziel beauftragten, Geldängste zu betonen und damit das Gefühl der Dringlichkeit eines Vertragsabschlusses zu bekräftigen. So überwiegt auch für Journalistin ­Joelle beim Thema Altersvorsorge ein Gefühl: „Stress“, sagt sie. Ihre Strategie, dem zu begegnen, ist, sich möglichst viel Wissen anzueignen, um den Dschungel zu durchdringen.

Die Rente in Zahlen

Laut Arbeitsministerium wird die gesetzliche Rente von fast der Hälfte der aktuell sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weniger als 1.500 Euro betragen. Zur Einordnung: Um auf diese Summe zu kommen, müsste man 45 Jahre lang Vollzeit bei einem Bruttolohn von 3.600 Euro gearbeitet haben.

Zwischen Frauen und Männern klafft dabei – wie auch bei den Gehältern – eine Lücke, die sogenannte Gender-Pension-Gap: Satte 27 Prozent weniger Alterseinkommen erhalten Rentnerinnen derzeit im Vergleich zu Männern derselben Altersgruppe.

Im Berufsfeld Journalismus kommt verschärfend hinzu, dass viele – wie Joelle – nicht fest angestellt, sondern freiberuflich arbeiten. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern stehen den rund 28.000 Festangestellten etwa 18.000 feste Freie gegenüber – macht einen Anteil von fast 40 Prozent. Dazu kommen Freischaffende, die nicht „fest“ beauftragt werden. Auch ihre Arbeit ist erheblich für die Programmgestaltung der Sender, in privaten Medienhäusern ebenso kaum wegzudenken.

Über Geld spricht man nicht

Doch egal, ob man fest angestellt, fest frei oder freiberuflich im Journalismus unterwegs ist: „Es hätte Sinn gemacht, schon in der Ausbildung von den Möglichkeiten zur Altersvorsorge zu erfahren“, sagt Joelle. So war ihr beim Start in den Journalismus und auch später lange gar nicht klar, dass sie in ihrer Zeit als feste Freie Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge oder einen Zuschuss durch den Arbeitgeber gehabt hätte.

Einer der Gründe dafür sei laut ­Joelle auch: „Niemand redet über Geld.“ Das Schweigen finge bei Gehältern und Honoraren an und höre auch beim Thema Sparen für den Ruhestand nicht auf. „Das nervt!“ Nicht über Finanzen sprechen zu wollen? Klingt typisch deutsch. Für ­Joelle steckt hinter dieser Mentalität aber weit mehr als Bescheidenheit. Sie selbst hält etwas anderes davon ab, sich mit anderen auszutauschen: „Die Leute haben oft ganz andere Voraussetzungen als ich, sind etwa in der Mittelschicht unterwegs“, sagt sie.

Dass über die Altersvorsorge zu wenig gesprochen werde, findet auch Honorarberater Ritzau. Was also tun, wenn man in einer Branche arbeitet, die wenig Vergleiche und Orientierung bietet? Eine Faustregel, die alle anwenden könnten, hat Ritzau parat: „Achten Sie auf Kosten und Flexibilitäten, meiden Sie teure Versicherungen und Garantien.“ Das heißt, sich zu fragen: Wie setzt sich meine Altersvorsorge zusammen (egal, ob Sparplan oder Versicherung) und was bekomme ich dafür? Und bin ich an eine feste Altersvorsorge gebunden oder kann ich sie etwa monatlich anpassen?

Welche Versicherung passt zu mir?

Sich unbedacht etablierten privaten Altersvorsorgemöglichkeiten wie Riester- und Rürup-Rente zu verschreiben, davor warnt der Honorarberater: „Diese sehe ich außerordentlich kritisch.“ Eine Riester-Rente würde sich nur lohnen, wenn die staatliche Förderung sehr groß sei, etwa bei mehreren Kindern.
Versicherer, die speziell Journalistinnen und Journalisten zur Zielgruppe haben, sind etwa das Presseversorgungswerk, dessen Kosten betrieblich (auch für Volontärinnen und Volontäre!) oder privat getragen werden können. Die Pensionskasse Rundfunk wiederum wendet sich an Freie aus Film, Funk und Fernsehen. Die Künstlersozialkasse (KSK) finanziert Freischaffenden Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung anteilig mit – in Ritzaus Augen ist das sehr attraktiv.

2.500 Euro im Alter

Wann ist der beste Zeitpunkt fürs Vorsorgen gekommen? Ritzau empfiehlt, sich „so früh wie möglich“ mit der Altersvorsorge auseinanderzusetzen. Als junger Journalist profitiere man etwa massiv vom Zinseszins. Ein Beispiel: Wer 40 Jahre lang monatlich 100 Euro in einen ETF-Sparplan bei einer Rendite von 5 Prozent anlege, der habe sich nach Steuer 125.000 Euro erspart.

Für Joelle war das „so früh wie möglich“ 2019. Damals beschäftigte sie sich erstmals mit ihrer Altersvorsorge. Verschiedene Statistiken hätten ihr vor Augen geführt, dass sie selbst vorsorgen müsse. „Ich verlasse mich nicht auf die staatliche Rente“, so die Journalistin. Und auch Ritzau sagt: „Man muss die Altersvorsorge selbst in die Hand nehmen.“

Joelle betrieb Onlinerecherche, hörte Podcasts, schaffte sich Bücher an. Ihr Ziel für den Ruhestand sind 2.500 Euro pro Monat zur freien Verfügung.

Gerade das regelmäßige Einzahlen beim Sparen helfe, um der Angst vor Altersarmut zu begegnen. Doch wie kann man einen monatlichen Fixbetrag dauerhaft gewährleisten? Joelles Sparplan sieht vor, dass sie jeden Monat dasselbe einzahlt – aber auch den Fall, dass die Honorare in einem Monat mal nicht für die Zahlung ausreichen, hat sie einkalkuliert. „Bei großen Projekten bekomme ich das Honorar meistens im Nachhinein“, sagt sie. Dann werde es schwierig mit dem monatlichen Betrag von etwa 300 Euro für die Altersvorsorge. In einkommensschwächeren Monaten kommt das Geld für Joelles Depot deshalb von einem Sparkonto, anstatt eine Zahlung auszusetzen. Das funktioniert natürlich nur, wenn man in Monaten mit höheren Honorarzahlungen auch Geld beiseitelegt.

Wie man es macht, Joelle ist sich in einer Sache sicher: „Was bremst, ist die Angst, etwas falsch zu machen.“ Aber: „Es ist immer noch besser loszulegen, als gar nichts zu tun.“

Tipp
Im „Bonjourno-Podcast“ vertieft Olivia Samnick das Thema Altersvorsorge mit Journalistin Joelle und Honorarberater Michael Ritzau weiter.

Die Autorin
Olivia Samnick ist freie Journalistin, Filmemacherin, Podcasterin und Online-Redakteurin für das medium magazin. Zum Thema empfiehlt sie eine Folge ihres „medium magazin“-Partnerpodcasts „Bonjourno“: www.bonjourno.de


Dieser Vorab-Beitrag ist aus dem „medium magazin“ 04/24, das am Donnerstag (26.09.2024) erscheint. Er ist Teil des SPEZIALS „Cash für Freie“. Denn so schön die Selbstständigkeit sein kann, sie hat einen Preis, den man sich leisten können muss. Welchen Tagessatz soll man aufrufen? Wie funktioniert die VG Wort? Und kann man mit Texten im Ausland noch einmal Geld verdienen? Außerdem klären wir in dieser Ausgabe die Frage, welche Geldquellen dem Journalismus helfen – und welche ihn gefährden. Das neue „medium magazin“ ist ab Donnerstag, 26.09.2024, digital oder als Printausgabe hier erhältlich oder im ikiosk.