„Naiv bin ich nicht“

Exklusiv: Ines Pohl in ihrem ersten Interview als „taz“-Chefin über Kompetenzen, Kapazitäten und Quotenfragen.

(Das Interview ist erschienen im aktuellen mediummagazin-Special „Journalistin“ 2009.)

Interview: Ulrike Simon

Haben Sie einen neuen Schreibtisch?
Ines Pohl: An dem alten hätte ich nicht arbeiten können. Der hier ist höhenverstellbar. Bascha Mika und ich unterscheiden uns bei der Körpergröße ja doch deutlich.

Es wird erzählt, Sie hätten im alten Schreibtisch Mäusekot gefunden und deshalb erst einmal einen Putztrupp in Ihr Büro bestellt?
Das mit dem Mäusekot stimmt nicht. Richtig ist, dass ich habe putzen lassen.

Sehr untypisch. Bei der „taz“ hat noch jeder Chefredakteur sein neues Büro selbst geputzt – oder er ließ den Dreck liegen.
Ich hab‘ auch selbst geputzt. Es ist ja nicht so, dass man bei der „taz“ einen Putztrupp bestellt und der dann am nächsten Tag da ist.

Sie kommen von der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“. Vor Ihrem Antritt als „taz“-Chefin haben Sie gesagt, der Vorteil, wenn man von außen kommt, sei der, unbelastet an die Aufgabe herangehen zu können. Hat sich das bestätigt?
Ich finde schon. Das Gestrüpp hier ist nur schwer zu durchdringen. Der Vorteil ist, dass ich in diesem Dickicht nicht verheddert bin, sondern es mit neuem Blick erkunden kann.

Was meinen Sie mit Gestrüpp?
Gewachsene Freundschaften, Animositäten, Seilschaften: inhaltlich begründete wie auch durch Verletzungen und Enttäuschungen entstandene.
Sind Sie nicht nur unbelastet angetreten, sondern unbedarft?
Das klingt nach naiv, und naiv bin ich wirklich nicht. Ich habe mir das schon alles genau überlegt. Aber man sollte den Mythos „taz“ nicht überstrapazieren. Unterm Strich ist die „taz“ auch nur eine Zeitung mit einer Redaktion, die sechs Mal in der Woche abends ein fertiges Blatt produziert hat.

Der Satz aus Ihrem „Spiegel“-Interview, der als Seitenhieb auf Ihre Vorgängerin verstanden wurde, lautete: Ihr Platz werde am Schreibtisch in der Redaktion sein, nicht auf Podien quer durch die Republik. War das unbedarft oder überlegt?
Heute würde ich diesen Satz so nicht mehr sagen. Er war missverständlich, und er hat Bascha Mika irritiert, was überhaupt nicht meine Absicht war. Deshalb tut mir der Satz auch leid. Aber ehrlich gesagt: Für mich ist das Schnee von gestern.

Beobachtern ist nicht verborgen geblieben, dass Bascha Mika Ihnen aus dem Weg gegangen ist, Sie regelrecht ignoriert hat; sei es hier im Redaktionsflur, sei es bei ihrem Abschiedsfest, das Sie auffallend früh verlassen haben …
… Nachdem Bascha Mika ihre Rede gehalten hatte, bin ich gegangen. Es war ihr Abschiedsfest. Lassen Sie es mich so formulieren: Die Übergabe war sicherlich nicht glücklich. Ich hätte mir eine andere Form gewünscht. Das lag zu einem gewissen Teil an besagtem „Spiegel“-Interview. Ich muss auf meine Kappe nehmen, dass Bascha Mika etwas missverstehen konnte, was so von mir nicht beabsichtigt war. Andererseits: Chefredakteurswechsel sind immer eine prekäre Angelegenheit. Und Frauen sind eben keine besseren Menschen. Ich habe mir fest vorgenommen, dass es, wenn es so weit ist, bei meiner Übergabe anders laufen wird.

Wie lange geben Sie sich als Chefredakteurin der „taz“?
Fünf Jahre sind eine gute Zeit, und dann sollte man sich tief in die Augen schauen und sich fragen: verlängern oder nicht?

Wie wird man, wie wurden Sie Chefredakteurin der „taz“?
Leute aus dem Umfeld der „taz“, die wussten, dass ich mich hier schon einmal als Politikchefin beworben hatte, haben mich gefragt. Und dann hat mich irgendwann Anfang dieses Jahres Ulrike Herrmann aus dem Vorstand angerufen und eingeladen.

Einige Kandidaten haben abgesagt, weil man als „taz“-Chef wenig verdient und wenig Entscheidungsmacht hat. Inwiefern war es für Sie ein Schritt auf der Karriereleiter?
Aus Karrieregründen habe ich mich nicht dazu entschieden, sondern weil ich diese Aufgabe total spannend finde und die „taz“ gern habe. Trotzdem empfinde ich das als Karrieresprung. Immerhin ist die „taz“ eine überregionale Zeitung und ein in der öffentlichen Aufmerksamkeit herausragendes publizistisches Organ.

Manche tazler nennen Sie nicht Chefredakteurin, sondern Chefpraktikantin. Zu Recht?
Wenn man irgendwo neu anfängt, ist man gut beraten zunächst zuzuhören. Ich kenne einige Chefredakteure, die erst einmal wie ein Hund an den Baum pinkeln mussten, um zu zeigen: Hier bin ich. Das habe ich nicht nötig. Ich kann es aushalten, erst einmal zuzuhören. Das heißt nicht, dass ich nicht entscheidungsfreudig wäre. Aber ich will verstehen lernen, wie dieser Laden funktioniert.

Mit dem Begriff Chefpraktikantin ist gemeint, dass Ihnen die „taz“ fremd ist, auch die Abläufe.
Jeden Abend muss die Zeitung fertig sein, das ist hier nicht anders als anderswo. Der Unterschied ist, dass bei der „taz“ viel mehr Leute in Entscheidungsprozesse eingebunden sind und viel mehr diskutiert wird. Es gibt keine Hierarchien. Hier nehmen auch Praktikanten – nicht nur die Chefpraktikantin – an Konferenzen teil. Das erweitert natürlich das Spektrum der Diskussion. Da für mich vieles neu ist, bin ich aber auch in der Lage, manches in Frage zu stellen.

Zum Beispiel?
Es gibt bei der „taz“ durch die gewachsenen Strukturen ganz viele Entscheidungsebenen, die sehr zeitaufwendig sind. Deshalb überlegen wir, wie wir einiges effizienter gestalten könnten. Helfen wird das neue Redaktionssystem, das ein effizienteres Blattmachen ermöglichen wird. Das schafft Zeit und Freiräume für das Wesentliche, die journalistische Arbeit.
Was hat Sie seit Ihrem Amtsantritt desilliusioniert?
Ich mag emotional sein und zu Euphorie neigen, aber Illusionen mache ich mir keine.

Gibt es etwas, wovon Sie enttäuscht sind?
Nein. Eher genervt. Ich bringe Dinge gern zu Ende und bin sehr ziel-
orientiert. Es ist für mich ein Lernprozess, Diskussionen, die sich im Kreis drehen, in dieser Ausführlichkeit auszuhalten. Da kann ich dann auch mal auf den Tisch hauen und sagen, jetzt ist mal gut. Schön ist zu merken, dass das andere auch schon lange ge-
nervt hat, sich nur daran gewöhnt hatten, aber froh wären, wenn sich das ändert.

Sie sollen die Konferenzen gestrafft haben.
Wenn ich eine Konferenz leite, achte ich darauf, dass es gerecht abläuft und alle, die etwas beizutragen haben, zu Wort kommen – nicht nur die, die am lautesten brüllen. Es muss aber nicht jeder zu Wort kommen, nur um auch etwas gesagt zu haben.

Eines Ihrer Probleme war, sich die vielen Namen und Gesichter der Redakteure zu merken.
Oh ja. Ich hab‘ ja eine Zeit lang auf Lehramt studiert und zwei Schulpraktika gemacht. Von meinem Ausbilder damals habe ich gelernt, wie wichtig es ist, die Namen zu kennen. Zum Glück gibt es bei der „taz“ ein Buch, in dem alle mit Foto und Namen vorgestellt sind. Abends hab‘ ich mich damit zu Hause hingesetzt und die Namen und Gesichter auswendig gelernt. Mir passieren noch Fehler, aber ich bin ganz zufrieden.

AL14580.1Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt geändert bei der „taz“?
Ich merke, dass da so etwas ist wie Aufbruchstimmung, dass die Redaktion das Gefühl hat, dass ein neuer Wind weht, dass sachbezogener diskutiert wird.

Liegt es daran, dass Sie die Gruppenbildungen und Unstimmigkeiten aus der Vergangenheit nicht kennen?
Ich ignoriere sie zu Tode.

Wie haben Sie sich die Zuständigkeiten mit ihrem Stellvertreter Reiner Metzger aufgeteilt?
Das ist noch nicht ganz klar nach dieser kurzen Zeit. Fest steht, dass er sich weiterhin um den Redaktionsetat kümmert. Alles andere wird sich zeigen, auch, ob wir wieder einen zweiten stellvertretenden Chefredakteur haben werden. Das entscheiden wir im nächsten Jahr.

Die „taz“ leidet nicht unter der Anzeigenkrise. 2009 wird die „taz“ sogar zum ersten Mal seit 15 Jahren schwarze Zahlen schreiben.
Die neue „sonntaz“ und die Erhöhung des Copypreises haben offensichtlich funktioniert. Und anders als andere Zeitungen haben wir nicht an Qualität eingebüßt, da wir wegen der Anzeigenkrise keine Korrespondentenbüros schließen, keine Redaktionen zusammenlegen und auch keine Kollegen rauswerfen mussten.

Wie investieren Sie den Gewinn?
Wenn die Entwicklung positiv bleibt, würden wir 2010 gerne die Gehälter ein bisschen anheben. Mal sehen.

Mit dem Boykott der Leichtathletik-WM wegen ungerechtfertigter Datenüberprüfung der Akkreditierten haben Sie einen PR-Coup inszeniert. Ist er gelungen?
Das war kein PR-Coup. Da geht es um Grundsätzliches, diese Debatte ist wichtig für unsere Branche und dauert an.

War es nicht billig, dass ausgerechnet die „taz“ ein Sportereignis zur Selbstdarstellung nutzt? Die „taz“ beschäftigt gerade einmal zwei Sportkorrespondenten, das Ressort heißt abschätzig „Leibesübungen“, und als Sportinteressierter greift man nicht gerade als Erstes zur „taz“.
Sport ist wirklich nicht unser Kernthema, insofern tut uns der Boykott einer Leichtathletik-WM tatsächlich weniger weh als anderen. Aber auch wir hatten einiges vorbereitet – Interviews und vieles mehr –, auf das wir konsequent verzichtet haben.

Womit Sie die Leser bestraft haben. War das Sinn der Sache?
„taz“-Leser denken anders. Sie akzeptieren nicht nur, dass wir das gemacht haben, sie finden es sogar toll, dass wir uns so etwas leisten können.

Twittern Sie?
Ich habe einen Account, aber ich twittere nicht. Ich glaube, Twitter wird sich relativ schnell erledigt haben. Aus journalistischer Sicht finde ich Twitter ganz oft schlichtweg albern.

Bloggen Sie?
Nein, ich lese aber viele Blogs. Solche Foren haben auch eine Zukunft.

Sie haben sich in der Vergangenheit mit der Verknüpfung von Print- und Online-Journalismus beschäftigt. Wie wollen Sie online das Profil der „taz“ stärken?
Der „Bewegungsmelder“ unter bewegung.taz.de folgt genau dem Servicegedanken, den Online-Journalismus ausmacht. Dort erfährt der Nutzer, wo welche Demo oder Informationsveranstaltung stattfindet. In dieser Richtung kann ich mir Weiteres vorstellen.

Wie sieht die „taz“ der Zukunft aus?
Die „taz“ ist wie kaum eine andere Zeitung zukunftsfähig. Der Grund ist ihre Unverwechselbarkeit, ihre Profilierung bei Themen wie Globalisierung, Geschlechterpolitik, Bildung und in Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Diese Kompetenz zu pflegen, sichert die Zukunftsfähigkeit der „taz“, denn dafür wird sie gekauft. Dasselbe gilt online. Wir haben ohnehin geringe Kapazitäten. Umso gezielter müssen wir sie einsetzen. In jüngster Zeit haben wir in dieser Hinsicht gute Erfahrungen gemacht mit Themen, die dem „taz“-Profil entsprechen, sei es die Demonstration der Piratenpartei oder die Anti-AKW-Demo, oder als wir als Erste das Video ins Netz stellten von dem Mann, der von der Polizei verprügelt wurde.

Sie verstehen sich als linke Feministin. Bei der „HNA“ sollen Kollegen genervt gewesen sein, wenn Sie schon wieder ein frauenbewegtes Thema ins Blatt bringen wollten.
Manchmal muss man renitent sein.

Sie waren auch mal Frauenbeauftragte an der Uni Göttingen. In der deutschen Zeitungslandschaft gibt es nur vier Chefredakteurinnen. Wären Sie für eine wie auch immer geartete Frauenquote?
Würden Sie auf dem Quotenticket segeln wollen?

Nein.
Eben. Weil das diskreditierend ist. Klar, Quoten können Türöffner sein, und wenn erst einmal einige Frauen an der Spitze stehen, dienen sie anderen als Vorbild. Wichtiger ist aber die langfristige Förderung von Frauen. Viele der Probleme, die Frauen haben, kenne ich gar nicht. Ich bin seit meinem 13. Geburtstag 1,80 Meter groß, ich habe ein lautes Organ, ich bin nur schwer zu übersehen oder zu überhören. Anderen Frauen hilft da zum Beispiel ein Rhetorik-Seminar. Oder man kann sich als Vorgesetzte zum Mentor von Kolleginnen machen und sie gezielt auf Führungsaufgaben vorbereiten. Da gibt es viele Möglichkeiten, über die ich auch bei der „taz“ nachdenken will.

Zum Schluss die unvermeidliche Frage an Frauen in Führungspositionen: Wie halten Sie es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben?
Mein Freundeskreis ist sehr „taz“-affin und unterstützt mich in vielerlei Hinsicht, und sei es, dass der eine oder andere für mich einkaufen geht, wenn ich es nicht schaffe. Und ich führe eine Fernbeziehung mit einer glücklicherweise sehr toleranten Frau, einer Amerikanerin …

… eine Journalistin der „Washington Post“. Haben Sie ihr das Stipendium der Nieman-Foundation zu verdanken?
Nein, ich habe mich ganz normal beworben. Wir haben uns aber dort kennengelernt. 


Fotos: taz/ Bernd Hartung), Andreas Labes