Klaus Ott: „Das war für uns bis dahin unvorstellbar“
Die Jury des Henri-Nannen-Preises wollte „Bild“ und „Süddeutsche Zeitung“ gleichberechtigt in der Kategorie „Investigativ“ auszeichnen. Hans Leyendecker lehnte daraufhin stellvertretend für das SZ-Team mit Klaus Ott und Nicolas Richter die Annahme des Preises während der Feier ab. Im exklusiven „medium magazin“-Interview äußerst sich nun Klaus Ott über seine Haltung zu „Bild“ und Recherche-Methoden, zur Begründung der Jury und der eigenen Ablehnung des Preises sowie Stilfragen auch in der SZ.
Interview: Annette Milz / Mai 2012
Hans Leyendecker hat den Nannen-Preis abgelehnt mit den Worten, es sei „ein Stückchen ein Kulturbruch“, dass „Bild“ ebenfalls ausgezeichnet wurde. Was war für Sie ausschlaggebend für die Ablehnung der Auszeichnung?
KLAUS OTT: Ausschlaggebend ist, dass wir uns mit unserem Anspruch bei der „Süddeutschen Zeitung“ nicht auf eine Stufe mit „Bild“ begeben. Es kommt bei „Bild“ immer wieder zur Überschreitung journalistischer Grenzen, die nicht nur unserer Ansicht nach von den Medien eingehalten werden sollte. Ich will als besonders drastisches Beispiel nur den Fall Ottfried Fischer* nennen. Unabhängig davon, ob die Justiz die Recherche in diesem Fall als Nötigung bezeichnet oder nicht: Wie da recherchiert wurde – „Bild“ hat sich ein Sexvideo besorgt – und was da veröffentlicht wurde, war einfach nur ekelhaft. (*Anm. d. Redaktion: Im vergangenen Jahr klagte der Schauspieler Ottfried Fischer gegen einen ehemaligen „Bild“-Reporter wegen Nötigung. Der Prozess vor dem Landgericht München in Zweiter Instanz endete mit einem Freispruch. Anfang April gab das OLG dem Revisionsantrag des Schaupielers statt und hob den Freispruch auf, der Prozess muss nun neu verhandelt werden.)
Der Verleihung am 11. Mai gingen fast zwei Monate voraus, in denen die SZ bereits mit „Bild“ und „Spiegel“ öffentlich auf der Shortlist stand. Das war ja auch bereits eine Gleichstellung. Warum haben Sie nicht schon da reagiert und die Bewerbung zurückgezogen?
Wenn wir in dieser Phase gesagt hätten, wir ziehen unsere Bewerbung zurück, dann hätte das merkwürdig ausgesehen. So als wollten wir als Bewerber der Jury vorschreiben, was sie tun darf und was nicht. Wir wussten ja nicht, wie die Jury entscheiden würde.
INFO: Der Henri Nannen Preis
Der Henri Nannen Preis, benannt nach dem „stern“-Gründer Henri Nannen, wurde vom Verlag Gruner+Jahr 2012 zum achten Mal verliehen. Nach einer ersten Bewerber-Auswahl durch eine Vorjury trifft eine Jury aus prominenten Vertretern verschiedener Medien (u.a. FAZ, Zeit, Welt, taz, WAZ, NDR, Stern) die Gewinner-Entscheidung. Der Preis wird in sechs Kategorien verliehen – darunter für die beste investigative Leistung – und ist jeweils mit 5000 Euro dotiert. Darüber hinaus werden auch Preise für das Lebenswerk und das Eintreten für Pressefreiheit vergeben. Die komplette Preiszeremonie am 11. Mai 2012 ist dokumentiert unter www.stern.de.
Aber warum haben Sie sich überhaupt beworben, da Sie ja damit rechnen mussten, dass „Bild“ die Wulff-Geschichte ebenfalls für den Nannen-Preis einreichen würde – und dass das keineswegs auf einhellige Ablehnung in der Jury stoßen würde?
Wären wir erst gar nicht angetreten, weil damit zu rechnen war, dass „Bild“ sich mit der Wulff-Geschichte ebenfalls bewerben würde, dann hieße das doch, dass wir vor „Bild“ kapitulieren. Das tun wir bestimmt nicht.
Wann haben Sie die Linie festgelegt, dass der Preis abzulehnen ist?
In dem Augenblick, in dem wir gerüchteweise hörten, dass wir gemeinsam mit „Bild“ ausgezeichnet werden sollten – das war für uns bis dahin unvorstellbar gewesen.
Wann haben Sie das erfahren?
Kurioserweise war ich noch an jenem Vormittag bei einem Prozess in München dabei – die Erben von Leo Kirch gegen die Deutsche Bank –, wo auch Friede Springer als Zeugin aufgetreten ist. Nach ihrer Zeugenaussage hörte ich von der angeblichen Jury-Entscheidung und besprach vom Zug aus per Handy mit meinen beiden Kollegen, die in anderen Zügen unterwegs waren, wie wir uns in solch einem Fall verhalten würden.
Inwieweit und ab wann waren die Veranstalter über Ihre Entscheidung informiert und wie haben sie darauf reagiert?
Wir haben dem Veranstalter vorher signalisiert, dass wir den Preis gemeinsam mit „Bild“ nicht annehmen würden.
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie auf die Bühne gerufen wurden?
Ich habe mich sehr gut gefühlt, weil ich wusste, dass wir das einzig Richtige tun. Deshalb hatte ich keine Sekunde lang ein ungutes Gefühl.
Ihnen sind ja im Vorfeld die kontroversen Diskussionen über eine potentielle Ehrung des „Bild“-Beitrags sicher nicht entgangen. Wie kann die letztliche Jury-Entscheidung da für Sie „unvorstellbar“ gewesen sein?
Für mich war unvorstellbar, dass „Bild“ mit solchen Methoden preiswürdig sein könnte. Wir haben uns aber ganz bewusst nicht im Vorfeld in die Diskussion eingemischt, die zuletzt befördert wurde von Antje Vollmers Essay in der „Frankfurter Rundschau“ und der Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Das hätte doch ziemlich komisch ausgesehen: Wir hätten ja in eigener Sache diskutiert und uns dann zu Recht auch den Vorwurf eingehandelt, wir hätten uns in den Vordergrund schieben wollen und nichts unversucht gelassen, die Entscheidung zu beeinflussen. Daher war aus unserer Sicht Zurückhaltung angezeigt.
Am Abend der Preisverleihung war zu hören, Vollmers Beitrag habe die Stimmung in der Jury zum Kippen gebracht – nach dem Motto: Wir lassen uns doch von „der Politik“ nicht vorschreiben, wie wir wen journalistisch zu beurteilen haben.
Solche Folgen können solche Wortbeiträge natürlich immer haben. Als ich von dem Beitrag erfuhr, dachte ich mir schon, dass dieser Schuss sicher nach hinten losgehen würde, weil er zu einer Gegenreaktion führen könnte. Insofern wäre es sicher besser gewesen, sich im Vorfeld öffentlich zurückzuhalten. Nach der Entscheidung hätte man immer noch diskutieren können.
Die Form Ihrer Ablehnung haben viele als eitlen, beleidigten Paukenschlag kritisiert. Warum sind Sie überhaupt noch auf die Bühne gegangen?
Ich finde – und das sehen auch meine beiden Kollegen so –, dass man sich so einer Situation stellen muss. Wenn wir der Jury und dem Veranstalter kurz vor Beginn der Veranstaltung mitgeteilt hätten, wir lehnen die Auszeichnung ab, kommen gar nicht erst auf die Bühne und erklären das auch nicht, hätte das die Jury, die Veranstalter und die Gäste brüskiert. Wir hatten uns darauf verständigt, dass Hans Leyendecker das in sehr diplomatischer Form zum Ausdruck bringt, um die Feier nicht groß zu stören. Er hat ja sogar in unserem Namen um Verzeihung gebeten, dass wir den Preis nicht annehmen – noch diplomatischer geht’s nun wirklich nicht. Insofern glaube ich, dass das die richtige Art des Auftritts war. Wenn nun Kritiker meinen, das sei arrogant oder überheblich gewesen, mein Gott, dann ist das deren Meinung. Unser Auftritt war aber mit Sicherheit nicht arrogant oder überheblich.
War die Begründung, die Hans Leyendecker auf der Bühne formuliert hat, mit Ihnen abgesprochen?
Wir hatten im Vorfeld kurz besprochen, wie wir eine Nichtannahme des Preises erklären würden. Ich finde, dass Hans Leyendecker das sehr gut und auch sehr diplomatisch gemacht hat. Wir haben uns hinterher überlegt, dass wir zur Begründung vielleicht noch einen oder zwei Sätze mehr hätten sagen sollen, aber man muss sich auch die Situation vorstellen: Man steht auf der Bühne vor 1200 Leuten und weiß, dass das, was man jetzt macht, sicher nicht der Feier und der Stimmung förderlich ist. Man will seine Haltung zum Ausdruck bringen, aber nicht der große Spielverderber sein und auch nicht arrogant auftreten. Das ist immer schwierig. Ich finde, dass wir das ganz ordentlich über die Bühne gebracht haben.
Hans Leyendecker sagte auch, dass sich die Ablehnung des Preises „überhaupt nicht gegen die Kollegen der ,Bild‘-Zeitung“ richte. Wie kann man denn „Bild“ von den Kollegen, die das Medium produzieren, trennen?
Wir sitzen hier nicht zu Gericht über die beiden Kollegen der „Bild“-Zeitung – das steht uns anlässlich der Wulff-Berichterstattung auch überhaupt nicht an. Andererseits kann man – im Gegensatz zu dem, was Helmut Markwort im Namen der Jury vorgetragen hat – die Berichterstattung eben nicht trennen vom Medium, in dem sie erscheint. So eine Veröffentlichung erscheint nicht im luftleeren Raum. Wir wollten uns deshalb nicht mit „Bild“ auf eine Ebene begeben, weil „Bild“ immer wieder bei der Recherche und bei der Berichterstattung Methoden anwendet, die unserer Ansicht nach eben nicht zum journalistischen Handwerk gehören.
Jurymitglied Helmut Markwort hat wörtlich gesagt: „Das Medium, in dem eine Arbeit erschienen ist – darin war sich die Jury schnell einig – kann kein Ausschlusskriterium für deren sachgerechte und faire Beurteilung sein.“ Bezieht sich Ihre Forderung, ein einzelner Beitrag sei nicht zu trennen vom Medium, nur auf „Bild“ oder auch auf andere Titel?
Das bezieht sich nicht nur auf dieses Blatt. Aber dieses Blatt ist im Hinblick auf journalistische Grenzverletzungen nun einmal extrem. Deswegen finde ich, dass „Bild“ keine Journalistenpreise verdienen kann, solange „Bild“ solchen Methoden nicht abschwört und sich stattdessen ihrer bedient. Das Umfeld, in dem dann solche Recherche-Ergebnisse erscheinen, lässt sich bei der Überlegung, ob das preiswürdig ist, nicht vom Rest des Blattes trennen.
Die „Süddeutsche“ selbst hat wiederum am 2. Januar 2012 Christian Wulffs Anruf auf Kai Diekmanns Mailbox groß veröffentlicht – und dafür viel Kritik geerntet. Wie stehen Sie dazu?
Natürlich gibt es auch bei uns Fälle, bei denen wir diskutieren, ob wir alles richtig gemacht haben. Da gibt es immer wieder unterschiedliche Ansichten bei uns im Hause. Der Diskurs gehört zum Journalismus. Der Unterschied zu „Bild“ ist aber, dass „Bild“ systematisch immer wieder Grenzen verletzt und dann pure Heuchelei betreibt, wenn zum Beispiel Chefredakteur Kai Diekmann dem damaligen Papst Johannes Paul II. eine „Volksbibel“ überreicht. Wer die Ehre anderer Menschen verletzt, kann nicht mit dem christlichen Glauben hausieren gehen.
„Schützengräben“ und Methoden-Unterschiede
„Focus“ beispielsweise wirft Ihnen vor, „alte Schützengräben“ zu beziehen und „trotzig das Recht auf das überlegene Weltbild“ zu verteidigen. Erklären Sie doch bitte mal den Unterschied zwischen Ihrer Auffassung von „sauberer“ Recherche und dem, was Sie bei der „Bild“-Zeitung kritisieren.
Da gibt es teilweise gravierende Unterschiede. Wobei es nicht nur um investigative Recherche geht, sondern um Recherche überhaupt. Da gibt es aus unserer Sicht Grenzen, auch ethische Grenzen, die bei uns eingehalten werden – von Ausnahmen vielleicht abgesehen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler, auch bei uns. Dann muss man die Größe haben, diese Fehler auch zuzugeben.
Bei „Bild“ geht es aber um das System der Methode: Wie kürzlich im Fall des ermordeten Mädchens in Emden, als Reporter dieses Blattes beim ersten Verdächtigen, einem 17-jährigen Schüler, in der Nachbarschaft und in der Schulklasse recherchieren und diesen Jungen in der Berichterstattung schon als den „Killer“ hinstellen, wenn auch unter Berufung auf die Polizei. Da frage ich mich: Geht’s noch? Das ist eine glatte Vorverurteilung. Zwei Tage später schreibt „Bild“ dann, dass dieser 17-Jährige zu Unrecht verdächtigt wurde und es ein Problem sei, dass alle Nachbarn und das gesamte Umfeld wussten, dass er der erste Verdächtige gewesen sei. Nun haben Nachbarn und Mitschüler sicher nicht exklusiv durch „Bild“ von den Verdächtigungen erfahren. Aber in diesen Kreisen zu recherchieren, bevor etwas erwiesen ist, und dann hinterher zu sagen, das sei nun ein Problem, dass die Leute das alles wussten – das ist wiederum pure Heuchelei. Wir Journalisten müssen bereits bei der Recherche genau überlegen, wo diese Grenze verläuft.
Gibt es für Sie Umstände, unter denen der ausgezeichnete Wulff-Beitrag von „Bild“ auch für Sie preiswürdig gewesen wäre?
Solange „Bild“ solchen Methoden nicht abschwört: klares Nein.
Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn unter den nominierten Reportern Martin Heidemanns (Mitglied der „Bild“-Chefredaktion) nicht vertreten gewesen wäre? Herr Leyendecker hat ja nur Nikolaus Harbusch namentlich erwähnt …
Für uns war kein Thema, ob wir da jetzt speziell den einen oder den anderen Kollegen kritisieren wollen. Wir haben gesagt: Das richtet sich nicht persönlich gegen die beiden Autoren von „Bild“, sondern es ging uns ganz grundsätzlich um „Bild“ und deren Methoden.
Hatten Sie nach der Preisverleihung noch Kontakt zu den Kollegen von „Bild“?
Ich persönlich nicht. Wir haben den Kollegen auf der Bühne nach der Preisverleihung die Hand gegeben – es gilt ja weiterhin, was Leyendecker über die Kollegen gesagt hat. Weitere Kontakte gab es nicht.
Die Definition der Preiswürdigkeit
Eines der Kriterien für die Kategorie „Investigativ“ des Henri-Nannen-Preises lautet: „Der in einem ausgezeichneten Beitrag recherchierte Sachverhalt muss eine gesellschaftliche Bedeutung gehabt haben.“ In der Begründung der Jury für den Preis für „Bild“ hieß es denn auch, der Beitrag habe die „größtmöglichen“ Auswirkungen gehabt. Was sagen Sie zu diesem Argument?
Natürlich hatten die Veröffentlichungen in „Bild“ und anderen Medien letzten Endes den Rücktritt des Bundespräsidenten zur Folge – insofern war die Wirkung tatsächlich groß. Wir bei der SZ wollen uns jetzt aber auf keinen Fall auf eine Diskussion darüber einlassen, wie preiswürdig dieser Beitrag ist. Uns geht es um die Grundsatzkritik an „Bild“ und nicht speziell um die Wulff-Veröffentlichung.
Andere befürworten die Auszeichnung für „Bild“ auch als Signal, dass sich eine beispielhaft gute Leistung positiv auf die weitere Entwicklung des Boulevard-Mediums auswirke. Wie halten Sie von diesem Argument?
Diese Sicht der Dinge halte ich für ziemlich naiv. Man muss sich nur die Berichterstattung der vergangenen Wochen anschauen – siehe der Fall Emden. Ich kann nicht erkennen, dass „Bild“ sich auf einem Weg der Besserung befindet, was journalistische Grenzüberschreitungen und populistische Veröffentlichungen, etwa im Fall Griechenland, anbelangt.
Ich glaube, dass das Ergebnis eher umgekehrt ausfällt: Dass „Bild“ mit Hilfe dieses Preises weitere gesellschaftliche Anerkennung suggeriert; dass die Diskussion über „Bild“-Methoden auf diese Weise noch weiter verdrängt wird – zum Schaden des Journalismus – und dass unterm Strich diese Fehlentwicklung sogar noch begünstigt wird. „Bild“ hat sich mit diesem Preis am nächsten Tag auch gleich auf Seite 1 gefeiert.
Die Reaktionen und die Leser
Haben Sie eigentlich mit dieser polarisierenden Debatte nach Ihrer Ablehnung des Preises gerechnet?
Ich habe nicht damit gerechnet, dass das solche Ausmaße annimmt, bin aber sehr positiv überrascht vor allem von den Reaktionen unserer Leser. Wir haben in der Woche nach der Preisverleihung per Post, E-Mail und über soziale Netzwerke ungewöhnlich viele Reaktionen von Lesern bekommen, die zu etwa 90 Prozent sagten: Wir haben von euch auch nichts anderes erwartet. Das widerspricht zum Beispiel dem Beitrag „Bild gehört dazu“ von Jakob Augstein auf „Spiegel Online“, in dem es heißt: „Dem Leser ist das wohl gleichgültig.“ Nein, dem Leser ist es nicht gleichgültig, welche Art von Journalismus er vorgesetzt bekommt. Das ist Gottseidank ein großer Irrtum. Die „Bild“-Zeitung ist nicht das Nonplusultra des deutschen Journalismus.
Man darf aber bei einer so großen Veranstaltung, wo regelmäßig große Medien wie der „Spiegel“ oder die „Zeit“ ausgezeichnet werden, auch die Regionalzeitungen nicht vergessen, die 90 Prozent der Auflage in Deutschland ausmachen und wo auch viele Kollegen einen sehr engagierten Journalismus betreiben.
Lesen Sie eigentlich die Online-Kommentare zu Ihrer Ablehnung der Auszeichnung – auch jenseits von „sueddeutsche.de“?
Ich habe bei „Spiegel Online“ nachgeschaut, bei „Focus“ und auf anderen Plattformen. Ich nehme natürlich ernst, was dort geschrieben wird, und wir setzen uns inhaltlich damit auseinander. Und wir versuchen, alle Zuschriften unserer Leser zu beantworten. Jeder Kritiker bekommt eine individuelle Antwort, die hat er verdient, und die 90 Prozent der Unterstützer erhalten ebenfalls ein Antwortschreiben. Das sind sehr befruchtende Diskussionen. Die breite Unterstützung ist erfreulich und sehr motivierend.
Was ist das Hauptargument der zehn Prozent, die die Ablehnung nicht in Ordnung fanden?
Ein Leser hat zum Beispiel geschrieben: „Offensichtlich meinen Redakteure der SZ, etwas Besseres zu sein als Redakteure der ,Bild‘-Zeitung. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin wirklich kein Freund der ,Bild‘-Zeitung, aber diese Arroganz Ihrer Redakteure ist wirklich schlimm.“
Und was antworten Sie dem?
Ich habe ihm ausführlich geantwortet, dass das überhaupt nichts mit Arroganz zu tun hatte, sondern mit unserem journalistischen Selbstverständnis, und habe dort am Beispiel Ottfried Fischer aufgezeigt, was da – ich kann das gar nicht anders sagen – zum Teil an ekelhaftem Journalismus stattfindet, habe erklärt, dass das kein Einzelfall ist, und geschrieben: Wenn ich mich um des Preises willen mit diesem Blatt auf eine Stufe gestellt hätte, dann hätte ich mir nicht mehr ins Gesicht schauen können. Und dass es dabei um meine, um unsere Glaubwürdigkeit geht, an der ich keine Abstriche mache. Das habe ich dem Leser am Dienstag nach der Preisverleihung geschrieben – wenig später dankte mir der Leser für meine ausführliche Antwort mit den Worten: „Ich habe vielleicht etwas vorschnell Kritik geübt. Ich denke noch einmal darüber nach und komme dann vielleicht zu einem anderen Ergebnis. Viel Erfolg bei der journalistischen Arbeit.“
Das zeigt: Die Leser freuen sich, wenn wir mit ihnen diskutieren – und wir freuen uns, wenn sie mit uns diskutieren. Wir machen tolle Erfahrungen in diesen Tagen.
Hans Leyendecker hat jenseits der Bühne „Bild“ auch als „Drecksblatt“ bezeichnet. Würden Sie das auch so formulieren?
Das war wohl der Dortmunder Borusse in Hans Leyendecker – das pralle Leben, manchmal auch hemdsärmelig und derb …
Attribute, die auch auf „Bild“ zutreffen …
Na ja, zwischen derb und ekelhaft ist ein himmelweiter Unterschied. Aber zurück zu unserem Dreier-Team. Nicolas Richter und ich sind Anhänger von Bayern München, und da geht es zumindest bei den Fans meist gesitteter zu. Wir werden ja manchmal sogar als „Münchner Operettenpublikum“ verspottet. Da gibt es nun einmal Mentalitätsunterschiede, auch in unserem Team. Aber das ist völlig okay.
Wie soll es mit dem Preis weiter gehen?
Was passiert jetzt eigentlich mit Ihrem Preisgeld? Geht das jetzt auch an „Bild“?
Keine Ahnung, aber das ist auch nicht unsere Sache. Das müssen Gruner + Jahr und die Jury entscheiden.
Sie haben den Henri-Nannen-Preis bereits 2007 in der Kategorie Investigation erhalten – damals für die Aufdeckung des Schmiergeldskandals bei Siemens. Sind Sie nach wie vor stolz auf diesen Preis?
Ja, natürlich. Wir haben damals intensiv berichtet – auch wieder im Team übrigens, zu viert – mit Hans Leyendecker, Markus Balser und Uwe Ritzer. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat mit ihrer Berichterstattung viel dazu beigetragen, dass die Aufklärung dieses Skandals sowohl bei der Staatsanwalt als auch bei Siemens selbst ohne große Hindernisse vorangehen konnte, und daran mitgewirkt, dass möglichst wenig unter den Teppich gekehrt werden konnte. Den Preis haben wir damals also sicher nicht zu Unrecht bekommen und können daher nach wie vor stolz darauf sein.
Nach der diesjährigen Preisverleihung halten viele den Henri-Nannen-Preis für nachhaltig beschädigt – es ist sogar die Rede vom „Hanni-und-Nanni-Preis“. Sehen Sie das auch so?
Beschädigt ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Die Jury, die im kommenden Jahr über die Auswahl der Beiträge entscheidet, wäre sicher gut beraten, noch einmal ganz grundsätzlich darüber zu diskutieren, welches Medium preiswürdig sein kann. Wenn man jetzt die richtigen Diskussionen beginnt, die richtigen Schlussfolgerungen zieht und vielleicht auch zu dem Ergebnis kommt, dass die Medien insgesamt auch über die Grenzen des Journalismus und dessen Entwicklung diskutieren sollten – dann kann das alles noch zu einem guten Ende kommen.
Sollte die finale Jurysitzung künftig öffentlich übertragen werden, um damit die Entscheidung transparenter zu machen?
Ach, da muss man nicht übertreiben. Da würden vor allem die Nominierten zuschauen, aber es werden sicher nicht zehntausende Journalisten und Millionen von Lesern darauf warten, diese Diskussionen live verfolgen zu können. Da würde sich der Journalismus selbst wieder zu wichtig nehmen.
Da halte ich mich zurück. Wir haben uns gerne für den Preis beworben und wussten ja, in welcher Art die Verleihung über die Bühne geht. Im Nachhinein darüber ein kritisches Wort zu verlieren, wäre billiges Nachtreten.
Müsste sich etwas an den Kritierien für den Nannen-Preis ändern oder würden Sie sich auch so nochmals um diesen Preis bewerben?
In welchem Umfeld eine Geschichte erscheint, sollte nicht unter den Tisch fallen. Schließlich ist das betreffende Medium auch Preisträger, das lässt sich nicht trennen. Das zeigt ja gerade die Reaktion bei „Bild“. Ob wir uns noch einmal bewerben, hängt erst einmal davon ab, ob wir überhaupt etwas Preisverdächtiges zustande bringen. Auf so große Geschichten wie die Formel-1-Affäre oder den Siemens-Skandal stößt man vielleicht ein Mal im Jahrzehnt. Wir bitten um Geduld mit uns.
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Was Klaus Ott über seine eigenen Recherchemethoden und die Arbeit im SZ-Team sagt, lesen Sie hier in Teil Zwei des Gesprächs