„Journalisten sind nicht dazu da, sterbende Träume zu beatmen“
Volker Zastrow, Politikchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und Theodor-Wolff-Preisträger 2012, über Manpulation durch persönliche Beziehungen, Blender in der Politik, die Rolle von „Bild“, hasserfüllte Leserbriefe, Leidenschaft im Journalismus und welche Bedeutung Theodor Wolff heute für ihn hat. Als einer von fünf Preisträgern wurde er am 12. September mit dem 50. Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für sein Essay „Drei Geschichten: Der verschleppte Rücktritt eines Ministers – oder wie Ken den Kopf verlor„.
Herr Zastrow, Sie beginnen Ihren Text über Guttenbergs „verschleppten Rücktritt“ mit drei Fragen. Eine lautet: „Was ist aus mir geworden?“ Was antworten Sie selbst darauf?
Volker Zastrow: Steht im Impressum der FAS. Was meine journalistischen Ziele betrifft, stehe ich haargenau am Anfang von dem, was ich noch tun möchte. Je älter man wird, desto mehr Spaß macht der Beruf, weil es immer leichter fällt sich mit dem anzufreunden, was man nicht kann.
..zum Beispiel den Umgang mit Barbie-Puppen. In ihrem Text schildern Sie, wie die Illustration Ken-und-Barbie-
Guttenberg zu einem Artikel Ihres Kollegen Richard Wagner entstanden ist. Das hatte nicht nur Beifall, sondern auch wütende Leserproteste hervorgerufen. War Ihr Text so etwas wie eine Rechtfertigung? Es war der Versuch, transparent zu machen, warum und wie wir was getan haben. Die Darstellung des Ehepaars Guttenberg als Barbie und Ken war eine satirische Überspitzung ihrer öffentlichen Stilisierung.
Wen oder was haben Sie da im Auge? Ein Beispiel: Da gab es ein Foto, wie Guttenberg staubfrei in Afghanistan auf dem Feldherrenhügel posiert – ein Bild von einem Kriegsschauplatz, das aber wirkte wie aus einem PR-Katalog. Doch nicht das Bild war eine Fälschung, sondern der Mann. Ist Krieg wirklich so cool und chic? Was sind unsere Erwartungen an Politiker, unsere Erwartungen an uns selbst? Deshalb die Eingangsfrage, was man aus sich machen soll.
„Ich fand interessant, dass Guttenberg es (…) geschafft hat, kritischen Journalismus von oben her auszuhebeln.“
In diesem Zusammenhang kommen Sie auch immer wieder auf die Rolle der Medien zurück. So schreiben Sie „…darüber entscheiden nicht Zeitungen. Manche mögen womöglich darüber entscheiden, wir nicht.“ Warum haben Sie das so betont?Es ist kein legitimes Ziel von Journalisten, darüber zu bestimmen, ob ein Politiker zurücktreten soll oder nicht. Ich fand allerdings interessant, dass Guttenberg es wie fast kein Politiker vor ihm geschafft hat, in den Führungsetagen der deutschen Medienlandschaft persönliche Beziehungen zu schaffen – und so kritischen Journalismus von oben her auszuhebeln. Es gibt Kollegen in anderen Häusern, die von ihren Vorgesetzten daran gehindert wurden, kritisch über Guttenberg zu schreiben.
Volker Zastrow , geboren 1958 in Niebüll. studierte von 1982 bis 1990 Geschichtswissenschaften in Berlin, war wissenschaftlicher Mitarbeiter von Arnulf Baring (1988 gemeinsame Buchveröffentlichung „Unser neuer Größenwahn. Deutschland zwischen Ost und West“). 1990 wurde er Politik-Redakteur der FAZ; seit 2000 war er verantwortlich für „Die Gegenwart“, seit 2006 leitet er den Politikteil „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Preise: 2009 wählte ihn die „mediummagazin“_Jury zum „Politikjournalist des Jahres“. Bücher: u.a. „Friesische Bagatellen“ Waltrop 2006, „Die Vier: Eine Intrige“, Berlin 2009.
„Wie immer man Guttenbergs Leistungen bewertet, auch diese gehört dazu: Er hat die halbe Republik und fast die ganze Union zum Lügen gebracht“. Als Sie das schrieben, war der damalige Verteidigungsminister zurückgetreten, die Stimmung bereits gegen ihn umgeschlagen. Warum dann noch diese drastische Kritik? Weil es wirklich um Lüge und Wahrheit ging, nicht um einen Mann. Darum, in einem Gestrüpp von krausem Fell des Pudels Kern nicht aus dem Auge zu verlieren.
Ihr Essay beschäftigt sich nicht nur mit der Person Guttenberg. Sie zeichnen dort zwei Politikertypen: Den einen nennen Sie administrativ, der „In tiefgefrorenen Sätzen spricht (..), ohne Sauerstoff und ohne Sonne leben“ kann. Den anderen beschreiben sie als „Spielernaturen, mitunter (…) Hochstapler“, die sich zum „Übermenschen“ stilisieren. Das klingt politikverdrossen. Sind Sie das? Hm. Darüber muss ich nachdenken. (längere Pause) Politik ist mehr als dieser kleine Ausschnitt, und Politik zu beboachten ist mein Beruf. Man muss sich ansehen, wie politische Institutionen funktionieren, was sie aus den Leuten machen, wer womit scheitert oder Erfolg hat. Der Glanz Guttenbergs hing zusammen mit der Ödnis institutioneller Politik – und das in einer eigentlich hochinteressanten politischen Zeit. Das sind eher Beobachtungen als Bewertungen, jedenfalls kein Ausdruck von Verdruss.
Sie zeichnen kaum Grautöne zwischen den beiden Politikertypen. Das polarisiert stark. War das Ihre Absicht? Das diente der Verdeutlichung. Die Polarisierung lag in der Sache selbst. Nicht so sehr im Streit, ob Guttenberg bleibt oder geht. Sondern: Sollte man seinetwegen Überzeugungen aufgeben? Gar Werte? Zwischen diesen beiden Polen verlief die Front, die sich bei uns auch in den Leserzuschriften artikuliert hat.
Sie berichteten von „hasserfüllten Leserbriefen“. Gab es darunter auch Kritik, die Sie für berechtigt hielten? Würden Sie heute etwas anders machen? Ich verstehe die Leser, die den von ihnen verehrten Guttenberg als vermeintlich neuen, durchgreifenden Politikertypus nicht beschädigt sehen wollten. Aber Journalisten sind nicht dazu da, sterbende Träume zu beatmen, sondern Sachverhalten auf den Grund zu gehen und sie ungeschönt zu veröffentlichen.
Im Internet dagegen rief Ihr Text eine wahre Flut an positiven Reaktionen hervor. Wie erklären Sie sich das? Wir haben viele Leserbriefe, Anrufe oder mündliche Reaktionen bekommen – sie waren überwiegend positiv. Aber es gab auch erbitterte Leserreaktionen. Schon vorher, während der Affäre. Die Reaktionen im Netz waren in der Tat sehr zahlreich und freundlich. Zudem ist gerade dieser Text in einem enormen Umfang im Internet verbreitet und getwittert worden. Warum das so war, weiß ich nicht. Vielleicht hat es ja geklappt, die Punkte zu verbinden. „Connecting the dots“: das war ja das erklärte Ziel.
In Ihrem Beitrag gewähren Sie den Lesern ungewöhnlich tiefe Einblicke in Ihre journalistische Arbeit. Sollten das Journalisten generell mehr tun? Das würde ich nicht verallgemeinern. Das ist kein Selbstzweck. Unsere Arbeit erfordert vor allem Fleiß und Mut. Ohne die wird Journalismus genauso spröde wie institutionalisierte Politik.
Wie wichtig ist für Sie, authentisch zu sein? Gar nicht, das beschäftigt mich nicht. Aber auch Journalisten sollten sich um Ehrlichkeit bemühen. Die muss man sich immer neu erkämpfen – vor allem gegen sich selbst. Ich finde es miserabel, Sachverhalt und Deutung absichtlich zu vermischen. Also: Weil Beschneidung zur Religionsfreiheit gehört, fühlen Babys keinen Schmerz. Das Land ist nicht vermaist, weil Bauern Geld verdienen wollen. Guttenberg hat nicht gefälscht, weil er ein begabter Politiker war. Unser Job ist es nicht, solche Deutungsmuster zusammenzuschrauben, sondern sie auseinanderzunehmen.
„Ich denke, die ´Bild-Zeitung` kann sich nicht entscheiden“
Ist die „Bild-Zeitung“, auf deren Rolle Sie in Ihrem Text eingehen, da für Sie authentisch? Das ist ein Begriff aus Ihrem Wortschatz, nicht aus meinem. Ich denke, die „Bild-Zeitung“ kann sich nicht entscheiden. Sie genießt und nutzt ihre publizistische Macht, die zu einem beträchtlichen Teil darin besteht, dass sie ihr geglaubt wird – gerade in der Politik. Das war nicht zu allen Zeiten so. Auf der anderen Seite ist ihr Chefredakteur Diekmann ein ernsthafter politischer Journalist, der investigative Elemente in diese Zeitung gebracht hat, die es dort vorher nicht gab. Die Bild-Zeitung versucht gleichzeitig auf diesen beiden Instrumenten zu spielen.
Sie schreiben: „Guttenberg benutzte die Schwächeren zur Demonstration seiner Stärke. Schön für jeden, der darauf reinfällt.“ Das klingt zynisch. War das auch so gemeint? Nein. Was Sie zitieren, bezog sich auf die Entlassung von Wichert und Schneiderhan, die von einem Teil der Öffentlichkeit wie ein Befreiungsschlag wahrgenommen wurde. Man sollte sich von dieser Art Tapferkeit nicht beeindrucken lassen.
Nach der Causa Guttenberg folgte die Causa Wulff. Und der berühmt-berüchtiger Mailbox-Anruf beim „Bild“-Chefredakteur, worüber auch die FAS berichtete. Das hat ihr den Vorwurf eingebracht, die FAS habe sich vor den Karren von „Bild“ spannen lassen. Was antworten Sie darauf?Ich empfehle die Lektüre der Sonntagszeitung. Das schützt vor leichtfertigen Urteilen. Wir haben aus dieser Mailbox-Geschichte in einem spezifischen Zusammenhang bereits im Dezember zitiert. Wenn man als Journalist Kenntnis von solchen Sachverhalten erlangt, wonach bemessen Sie dann, wann man sich vor welchen Karren spannen lässt? Indem man sein Wissen für sich behält oder indem man es veröffentlicht? Das galt es abzuwägen. In unserer Redaktion haben Kollegen, zu denen auch ich zähle, nicht gefunden, dass die Angaben des damaligen Bundespräsidenten über die Herkunft des Geldes für sein Haus in Großburgwedel überzeugend belegt sind. Dem sind wir nachgegangen. Außerdem haben wir zunächst vermutet und dann auch darlegen können, dass bestimmte, sagen wir: finanzwirksame Aktivitäten Christian Wulffs wohl nicht aus freiem Antrieb erfolgt sind, sondern Reaktionen auf journalistische Handlungen waren. Dem sind wir nachgegangen, und dazu gehörte damals auch die Frage, was es mit dem Mailbox-Anruf auf sich hatte. Doch noch bevor wir nach kurzer Zeit die Antwort aus dem Bundespräsidialamt bekamen – übrigens die einzige, die wir in jenen Tagen überhaupt erhalten haben – gab es genau dazu eine Rückkopplung zwischen Bundespräsidialamt und Bild-Zeitung. Das haben wir in der F.A.S. berichtet. Wer diesen Sachverhalt nicht interessant findet, hat sich mit der Materie vielleicht weniger eingehend beschäftigt. Der einzige Karren, vor den wir uns spannen, ist unsere Zeitung, die F.A.S.
„Die so wichtige Individualität der Zeitungen wird im Internet wie in einem Mixer zu einem Cocktail zerschreddert.“
Die Causa Guttenberg und Wulff folgten sehr rasch aufeinander. Sehen Sie darin eine zwangsläufige Entwicklung? Nein. Aber eine wichtige Gemeinsamkeit ist, dass die Riesenwellen der Empörung nicht primär von den Medien erzeugt wurden, sondern im Netz entstanden sind. Das zeigen die online-Klickzahlen. Das ist ein selbstbeschleunigender Effekt, der sich zu einer pauschalen Wahrnehmung „der Medien“ verdichtet. Die so wichtige Individualität der Zeitungen wird im Internet wie in einem Mixer zu einem Cocktail zerschreddert. Und gleichzeitig ist den wenigsten Nutzern bewusst, dass sie den Hype, dem sie sich ausgesetzt fühlen, durch ihre Klicks selbst generieren. Ein Shitstorm in der Politik.
Welche journalistischen Konsequenzen ziehen Sie daraus? Erstens: sich nicht beirren lassen, seine eigene, möglichst gerade Furche ziehen. Zweitens: nicht einfach nur das, was wir für richtig halten, schreiben, sondern auch, warum es aus unserer Sicht wichtig ist, dass wir es aufschreiben. Ex cathedra kann man nicht mehr mit den Lesern verkehren, diese Zeiten sind vorbei.
Haben Sie eigentlich Verständnis für Journalisten, die neben ihrem Beruf Mitglied einer politischen Partei sind? Wenig. Aber noch viel weniger für ideologische Lobbyisten..
Was kennzeichnet für Sie journalistische Haltung? Komisch – wir wurden ja dieses Jahr dafür ausgezeichnet. Aber das ist ein Ausdruck, der in der Redaktion nie fällt…
…Nach dem Motto: Haltung hat man, man muss sie nicht diskutieren? Haltung ergibt sich von selbst aus dem, was man tut.
Und was sagen Sie solchen Kollegen in anderen Redaktionen, die mit Anweisungen „von oben“ zu kämpfen haben wie in der Causa Guttenberg und um ihren Job fürchten? Dasselbe. Sie sind ausgezeichnet worden mit dem Preis, der benannt ist nach Theodor Wolff. Der einstige Chefredakteur des Berliner Tagesblatts trat in seinen Leitartikeln stets für liberalen demokratischen Geist ein, später wurden seine Bücher von den Nazis verbrannt, er selbst verfolgt und umgebracht. Welche Bedeutung hat Theodor Wolff für Sie heute? Ich bewundere Wolffs Unabhängigkeit. Er hat den Journalismus im Wortsinn als freien Beruf ausgeübt. Seinen Stil, vor allem die Bildungshuberei in seinen Texten, mag ich weniger. Das ist sehr deutsch, aber natürlich auch zeitbedingt. Über den Preis freue ich mich wirklich sehr, weil er verknüpft ist mit der Grundentscheidung, den deutschen Journalismus nach dem Kriege wieder in eine freiheitliche Tradition zu stellen. Und es bleibt ein Zeichen, dass der Deutsche Zeitungsverleger-Verband seinen wichtigsten Preis nach einem jüdischen Kollegen benannt hat.
Tipp -in eigener Sache: zum 50jährigen Jubiläum des Theodor -Wolff Preises haben wir ein Specialausgabe unseres „best of….Theodor Wolff “ produziert mit 48 Seiten. Darin enthalten sind u.a. Interviews mit allen Gewinnern 2012 und die Jurybegründungen, Essays über die Bedeutung von Theodor Wolff für den Journalismus und die Entwicklung der Medien von 1962 bis 2912 , interview mit Juroren des Theodor-Wolff-Preises sowie eine Übersicht über alle Gewinner seit 1962 und auf welche Zeitung bisher wie oft der TWP entfallen ist. Für Abonnenten von mediummagazin ist das best of im Abopreis enthalten. Bestellungen unter vertrieb@mediummagazin.de
In Ihrem preisgekrönten Text zitieren Sie einen Appell von Steve Jobs an seine studentischen Zuhörer: „Eure Zeit ist beschränkt. Also verschwendet sie nicht, indem Ihr das Leben eines Anderen lebt.“ In der FAS sind Sie auch für Volontäre zuständig. Was geben Sie denen als Aufgabe auf den Weg? Wir versuchen sie vor allem von diesen Monitoren zu lösen, aus der Matrix. Wir schicken sie in die wilde weite Welt hinaus, zum Beispiel in ein niederbayerisches Dorf, survivalmäßig. Alles, was ihnen zum Überleben bleibt, ist ein Bleistift.
Nun ist Ihr Schreibtisch fast frei von Papieren, aber es steht auch ein Monitor darauf. Wie entstehen denn Ihre Geschichten? Im Kopf. Und anschließend schreibe ich sie daraus ab – ob auf einem Computer, einer Schreibmaschine oder mit einem Stift, ist dann egal. Ich versuche den jungen Kollegen nahezubringen, dass Schreiben im Kopf stattfindet, nicht auf dem Papier oder dem Monitor.
Wie funktioniert dieser Prozess des Im-Kopf-Schreibens? Wachen Sie nachts auf, um ihre Texte zu denken? Gliedern Sie Ihre Texte gedanklich? Da ich ein Morgenmensch bin, findet das tatsächlich bei mir oft früh morgens statt. Und ansonsten ist so ähnlich wie die Seefahrt. Bevor Sie ablegen, sollten Sie den Zielhafen kennen, wissen, wo Sie hinwollen wollen. Ich mache mir aber keine formale Gliederung, sondern setze bei längeren Texten nur, um im Bild zu bleiben, Navigationsmarken. Vorher rede ich viel mit anderen über die Streitpunkte. In solchen Gesprächen polarisiere ich mehr als im Text, um Gegenargumente zu provozieren und um herauszubekommen, womit ich Gehör finde. Die eigentliche Schreibzeit für einen Text wie „Guttenbergs verschleppter Rücktritt“ liegt dann irgendwo zwischen vier und sechs Stunden.
Diskutieren Sie auch Ihre Text-Gedanken mit anderem vor dem Schreiben? Niemals. Ich halte es zwar für sehr wichtig, dass man vor dem Schreiben über das Thema redet. Aber ich würde nicht über den eigentlichen Text sprechen, bevor er niedergeschrieben ist. Man riskiert sonst, seinen Impuls zu verbrauchen.
Was inspiriert Sie für Ihre Geschichten, wie weben Sie einen solchen Faden von Steve Jobs zu Guttenberg? Das sind oft Fäden, die sich wie für einen Teppich zusammenfügen. Damals lief gerade Toy Story 3. Als ich mir den Film mit meinem Sohn ansah, fiel mir die Ähnlichkeit von Ken und KT Guttenberg auf. Ungefähr zur selben Zeit machte mich eine junge Kollegin auf die Stanford-Rede von Steve Jobs aufmerksam. Ihr war aufgefallen, dass viele junge Leute darauf mit Unverständnis reagierten. Nun habe ich selbst Kinder und sehr viel mit jungen Journalisten zu tun. Deshalb beschäftigt mich die Frage, wonach junge Leute eigentlich streben.
…mit welchem Ergebnis? Am Anfang dieses Guttenberg-Textes stehen ja zwei Fragen: „Was wird aus mir? Was soll aus mir werden?“ Die sind für junge Menschen sehr wichtig. Welche Erwartungen haben sie an sich, an welchen und an wessen Maßstäben messen sie sich? In unserer Gesellschaft gibt es einen unfassbar hohen und zugleich hohlen Perfektionsdruck, der schon auf Kinder ausgeübt wird. Guttenberg – und so schloss sich der Kreis zu Steve Jobs – ist in gewisser Weise Teil dieses Syndroms, in einem soziopolitischen, nicht in einem institutionspolitischen Sinn: Er verkörperte die Sehnsucht nach dem Übermenschen, wohl auch, weil er selbst von ihr durchdrungen war. Aber dieser Sog und dieser Druck machen es jungen Leuten schwer, sie selbst zu sein. Siehe oben.
Sie schreiben in Ihrem Essay über die Politik: „die Kompromisse werden aus Kompromissen aus Kompromissen gemacht“. Sie selbst gelten als ziemlich kompromisslos. Manche sagen sogar: Zastrow ist ein Verrückter. Ist das für Sie ein Kompliment oder eine Beleidigung? Das bestimmt der Sender, nicht der Empfänger.
Ist kompromisslos ein Attribut, das Sie für sich akzeptieren würden?Nein. Ich bin seit dreißig Jahren mit derselben Frau zusammen und seit über zwanzig bei derselben Zeitung. Würde das ohne Kompromisse gehen? Man sollte nur darauf achten, dass es keine faulen sind.
„Wenn ich Leidenschaft vermisse, muss ich sie entfachen“
Vermissen Sie Leidenschaft im Journalismus? Dazu habe ich kein Recht. Wenn ich sie vermisse, muss ich sie entfachen, bei mir selbst und bei denen, für die ich verantwortlich bin.
Kann sich, muss sich die Sonntagszeitung mehr Extravaganzen leisten als die Wochentagszeitung? Als unsere Herausgeber die Sonntagszeitung starteten, war für alle klar, dass sie keine siebente Ausgabe der Tageszeitung, sondern eine eigenständige Wochenzeitung machen wollen. Diese Entscheidung war weise, und sie ist von den Lesern belohnt worden. Nach Extravaganz streben wir nicht. Wir wollen eine schöne, hoffentlich auch kluge, anregende Zeitung herstellen. Sie macht uns Freude und soll auch den Lesern Freude machen.
Immer mehr junge Journalisten interessieren sich für online statt für Print. Sie sind ja auch zuständig für die Volontärsausbildung in der FAS. Ist das für Sie ein Problem? Nein. Ich kann das aus eigener Einschätzung auch nicht bestätigen.
Sie beenden Ihren Text mit dem Blick auf die Digitalisierung der Gesellschaft und fragen: „Tun Sie, was Sie lieben? Lieben Sie, was sie tun? Eine neue Zeit hat begonnen.“ Wie stellen Sie sich selbst auf diese neue Zeit ein – mit Twitter und Facebook? Nein. Mich nervt Zerstreuung.
Interview: Annette Milz