Fälschungsvorwurf: Die Faktenlage
Am Freitag, 26. März, veröffentlichten das DJV-Verbandsorgan „Journalist“ und mdr sputnik eine Meldung, die über ots und auch von meedia verbreitet wurde, in der der freie Journalist W. unter voller Namensnennung des Betrugs und der Fälschung von Zitaten und deren Urheber bezichtigt wird.
W.war seit Anfang 2007 bis Ende 2009 als freier Autor für Spiegel online, Welt online und einige andere Medien als freier Autor tätig, vorwiegend im Bereich von Verbraucher- und Nutzwertthemen. Dabei haben sich nach einer Beschwerde beim Presserat wegen einer zweifelhaften vom Autor genannten Quelle Ungereimheiten herausgestellt, die zu Ermittlungen der Staatsanwalt führten, die nach wie vor andauern.
In eigener Sache I: W.war für uns bisher einmal als Autor tätig. Er hat in unserem Auftrag den Beitrag „Unheimliche Mächte. Ein Jahr nach den Amok-Morden in Winnenden.- Welche Spuren haben die Medienvertreter hinterlassen?“ in „medium magazin“ 3-2010 recherchiert und verfasst. Dabei haben wir in enger Abstimmung gearbeitet, uns laufend über zu befragende Protagonisten und Thesen der Geschichte ausgetauscht. Der Autor hat uns stets über den Stand seiner Arbeit, auch unaufgefordert, informiert – inklusive Namensnennung der Personen, die er befragen wollte und/oder später in dem Artikel zitiert werden sollten. Zu keinem Zeitpunkt bestand und besteht in diesem Zusammenhang Anlass, an dem lauteren Vorgehen bei dieser Recherche zu zweifeln. Sämtliche Aussagen in diesem Beitrag sind nachweisbar.
Da wir W.als überaus fleissigen und zuverlässigen Autor in diesem Zusammenhang kennengelernt haben, sind wir den aktuellen Vorwürfen selbst nachgegangen.
Die Tatsachen lauten nach dem bisherigen Stand, wie wir ihn bis heute nachmittag (29.3.) recherchieren konnten:
Die beiden ehemaligen Auftraggeber des Autors „Spiegel online“ und „Welt online“ haben in Hamburg am 3.12. bzw. in Berlin am 14.12. Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet wegen Titelmissbrauchs bzw wegen Titelmissbrauchs, Urkundenfälschung und Betrugs. Die Strafanzeigen der beiden Medienhäuser richten sich ausdrücklich nicht gegen den Autor selbst. In beiden Fällen handelt es sich um laufende Verfahren.
Anlass für beide Strafanzeigen war das Bemühen, die wahre Identität des angeblichen Anwalts „Carsten Penkella“ zu klären, den W.in seinen Beiträgen mehrere Male zitiert hatte. Aufgrund einer Beschwerde beim Presserat stellte sich heraus, dass ein Anwalt mit diesem Namen nicht existiert. Es existieren jedoch Schrift- und Mailwechsel – u.a. eine mail an eines der Medienunternehmen als Antwort des angeblichen „C. Penkella“ auf die Frage nach seiner Identität als Anwalt, in der er sich dazu bekennt, er habe Journalisten bewußt unter Vorspiegelung einer falschen Identität als angeblicher Verbraucheranwalt missbrauchen wollen. Er habe, so geht aus dem Schreiben hervor, ausprobieren wollen, inwieweit Medien heutzutage angebliches Expertenwissen ungeprüft als „bare Münze“ einsetzen würden. Die wahre Identität des Absenders ist bis heute unklar. In den strittigen Fällen waren jedoch die Aussagen dieses angeblichen Anwalts nicht allein Grundlage für den jeweiligen Bericht des Autors..
Aufgabe der Staatsanwaltschaft und Ziel der Strafanzeigen sollte sein, den wahren Urheber hinter der auf den Briefköpfen des angeblichen Anwalts angegebenen E-Mailadresse und Mobilfunknummer herausfinden. Zu diesen Ermittlungen gibt es bisher keinen abschliessenden Erkenntnisse.
Darüber hinaus gibt es in einigen weiteren Beiträgen des freien Autors Zitate von Personen, die nicht auf Anhieb z.B. über eine Online-, Standesregister- oder Telefonbuch-Recherche eindeutig zu identifizieren und vor allem zu verifizieren sind. Dazu gibt es Aussagen des Autors über deren Herkünfte (wie zum Beispiel aus Internet-Foren), die sich aber bisher nicht eindeutig nachvollziehen liessen.
Weil ein konkreter, verlässlicher Nachweis dieser unklaren Quellen bisher nicht möglich war, haben die Unternehmen alle Beiträge des Autors offline gestellt – ausdrücklich mit dem Hinweis „medium magazin“ gegenüber, „vorsorglich – solange der Sachverhalt nicht eindeutig geklärt ist“ und den Autor aufgefordert, Belege für seine Quellen zu erbringen.
Das ist zum gegenwärtigen Stand auch noch nicht abschliessend geschehen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Verdachtsberichterstattung mit voller Namensnennung, wie sie der „Journalist“, „mdr sputnik“ und „meedia“ am vergangenen Freitag publiziert bzw weiterverbreitet haben – jeweils ohne den Betroffenen vor der Veröffentlichung selbst gehört zu haben. Dieses Vorgehen ist sowohl journalistisch als auch medienrechtlich mehr als fragwürdig, denn eine Verdachtsberichterstattung unter voller Namensnennung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Ob und wann diese Voraussetzungen gegeben sind – dazu haben wir den Medienrechtler Stephan Zimprich, Rechtsanwalt im Hamburger Büro der internationalen Sozietät Field Fisher Waterhouse, befragt:
Wann darf man identifizierend, also mit voller Namensnennung eines Beschuldigten, berichten?
Stephan Zimprich: „Grundsätzlich ist bei einer Namensnennung besondere Zurückhaltung zu wahren. Erforderlich ist in jedem Fall eine ordentliche Recherche und eine ausgewogene Darstellung, die auch die Position des Betroffenen berücksichtigt. Ob eine Namensnennung im Einzelfall zulässig ist, bemisst sich nach einer Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen. Eine Namensnennung kommt in Betracht, wenn der Verdacht sich auf einer schwere Straftat bezieht oder, auch bei weniger schweren Verfehlungen, an der genannten Person ein besonderes öffentliches Interesse besteht, beispielsweise bei Politikern, Beamten oder kirchlichen Würdenträgern. Im vorliegenden Fall dürfte nach meinem Kenntnisstand weder die eine noch die andere Voraussetzung erfüllt sein – zumal erschwerend hinzu kommt, dass die Namensnennung die berufliche Zukunft des Betroffenen schwer beeinträchtigen kann – zu einem Zeitpunkt, zu dem nicht einmal klar ist, welches Fehlverhalten tatsächlich vorliegt und ob Zitate von ihm erfunden wurden.
„Spiegel online“ und „Welt online“/Axel Springer AG, für die der Autor tätig war, haben Strafanzeige in Hamburg bzw Berlin gegen Unbekannt erstattet. In beiden Fällen handelt es sich zum aktuellen Stand um laufende Verfahren. Ist bei diesem Stand der Dinge eine Verdachtsberichterstattung unter voller Namensnennung des
Betroffenen gerechtfertigt?
Stephan Zimprich: „Ein Ermittlungsverfahren, das auf einer Strafanzeige beruht, ist grundsätzlich in der Berichterstattung mit Vorsicht zu geniessen. Die Anzeige als solche rechtfertigt die Namensnennung keinesfalls. Außerdem wurde hier ja Anzeige gegen Unbekannt erstattet – damit gibt es streng genommen gar keinen „Betroffenen“, der identifiziert werden könnte. Die Verbindung wurde von den berichtenden Medien hergestellt, nicht durch die Ermittlungen.“
Der Chefredakteur des „Journalist“ begründet laut einem Eintrag im Blog von Stefan Niggemeier die volle Namensnennung wie folgt: „Den Namen haben wir genannt, weil ein Journalist qua seines Berufes in der Öffentlichkeit steht und agiert. Was er publiziert, ist stets öffentlich und nicht privat. Wenn ihm vorgeworfen wird, zu lügen oder Dinge zu erfinden, ist das von Bedeutung für die Öffentlichkeit, jedenfalls in unserer Branche. Wir haben aber in der Tat länger darüber diskutiert, ob die Namensnennung klug ist. Letztlich stehen aber die Vorwürfe seine öffentliche Funktion betreffend im Raum, und nachdem wir mit allen Beteiligten gesprochen haben (und davon ausgehen mussten, dass W. (Anm.d.Red.: Nachträglich anoymisiert) nicht mit uns reden will), haben wir uns entschlossen, den Namen zu nennen.“
Ist diese Begründung medienrechtlich haltbar?
Stephan Zimprich: „Diese Argumentation überzeugt nicht. Zwar betrifft die Berichterstattung die berufliche Sphäre, so dass die Voraussetzungen für eine identifizierende Berichterstattung weniger hoch sind. Es muss auch hier eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen werden (siehe oben). Auch lässt sich das öffentliche Interesse nicht damit begründen, dass der Vorgang jedenfalls für die Branche von Bedeutung ist. Damit würde diese Voraussetzung sinnlos, da sich immer eine kleine Interessengruppe findet, für die ein Vorgang wichtig ist.Öffentliches Interesse ist eben mehr als das Interesse einer Berufsgruppe“
In eigener Sache II: Uns ist an einer klaren, eindeutigen und raschen Aufklärung der Vorwürfe gelegen und wir haben selbstverständlich auch den Autor selbst dazu befragt. Seine Erklärungen zeichnen ein überaus komplexes Bild, das einer weiteren Klärung und Quellen-Nachweisen bedarf. Der Autor ist aufgefordert, diese zeitnah zu liefern.
Im Kern geht es um die Frage, ob er seine journalistische Sorgfaltspflicht an einigen Punkten vernachlässigt hat oder bewusst Quellen gefälscht hat – was der Autor vehement bestreitet. Eine Antwort darauf ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert möglich.
Sobald uns weitere Erkenntnisse vorliegen, die eine abschließende Beurteilung des Falls erlauben, werden wir diese kommentieren – nicht vorher. An einer skandalisierten Berichterstattung und einer Vorverurteilung des Autors wollen und werden wir uns nicht beteiligen.
Annette Milz, Chefredakteurin „medium magazin“.
Update: In eigener Sache III (1.4.): Wir haben zunächst den vollen Namen des freien Journalisten genannt und das mit ihm abgestimmt, um nach den ersten Veröffentlichungen einen neutralen und verifizierten Sachstand geben zu können, der den Vorwürfen zuzuordnen ist. Ab sofort werden wir ausschliesslich die anonymisierte Form W., auch in den entsprechenden Blogeinträgen und Kommentaren, benutzen.
Update 1.4.: In der Meldung von meedia v. 31.3. zu W. heisst es : „Auf Anzeige von Spiegel Online waren Anfang Dezember unter Az 83 UJS 18182/09 Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Betrugs eingeleitet worden. Der Einstellungsvermerk wird dagegen unter dem Aktzenzeichen Az 3404 JS 91/10 gelistet. Und dieser nennt neben dem infrage kommenden Betrug auch noch den Tatbestand des Titelmissbrauchs – dabei war dieser nie angezeigt worden.“
Richtig ist jedoch vielmehr – laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Hamburg:
„Die Anzeige ist wegen „Missbrauchs von Berufsbezeichnungen…“ erstattet und zunächst unter 83 UJs 18182/09 eingetragen. Das Verfahren wurde im weiteren Verlauf Verfahren wegen § 132a StGB (Titelmissbrauch) in die Bekanntsache 3404 Js 91/10 umgetragen. Damit erfolgte eine Bearbeitung des Vorgangs nicht mehr unter dem UJs Aktenzeichen. Im Einstellungsbescheid wurden wegen der umfassenden Prüfungspflicht 6 Zeilen zu § 263 StGB abgefasst, in der Überschriftenzeile steht nach dem Wort „Vorwurf:“ Betrug pp.“
Zur Frage, wann die emailadresse des angeblichen Anwalts C.Penkella eingerichtet wurde und auf den sie zurückzuführen sei, teilte uns die Staatsanschaltschaft Hamburg mit:
„WEB.DE hat am 22.01.2010 mitgeteilt, dass keine Verbindungsdaten mehr vorlägen, da der letzte Login länger als 30 Tage zurückliege. Die Adresse ist lt. Auskunft web.de am 04.11.2009 angelegt worden.“
Zur Frage, ob der wahre Urheber der von „C.Penkella“ angegebenen Mobilfunknummer ermittelt wurde, lautet die Antwort: „Es wurde nicht versucht, die Mobilfunkadresse herauszufinden pp., da es darauf aus Rechtsgründen nicht (mehr) ankam.“
Tatsache ist – unverändert: Es handelt sich um laufende Verfahren in Berlin UND Hamburg, da auch nach einem Einstellungsbescheid wie in HH ein Verfahren so lange noch als offen gilt, wie die Beschwerdefrist läuft.
Neben den juristischen Aspekten geht es uns unvermindert selbstverständlich auch um Aufklärung der gesamten Angelegenheit. Aktuell dazu siehe dazu Stefan Niggemeiers Recherchen über Fundstellen von Zitaten, die auch so oder so ähnlich in W.´s Texten erscheinen. A.Milz
Update 2: Die Staatsanwaltschaft Hamburg teilte heute, 21.4., auf Anfrage von „mediummagazin“ mit:
1. Gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens ist Beschwerde eingelegt worden
und
2. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat daraufhin die Ermittlungen am 12.04.2010 gegen den Beschuldigten W. wieder aufgenommen
3.Die Polizei Hamburg wurde mit einem Ermittlungsersuchen beauftragt.
Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Möllers: „Zu den Einzelheiten kann ich verständlicherweise keine Angaben machen“.
Zum Stand des Ermittlungsverfahren in Berlin, wo die zweite Strafanzeige erstattet worden war, gibt es bis heute noch keine gesicherten Auskünfte, da das Verfahren in der Zwischenzeit nach Ingolstadt abgegeben, aber von dort wieder zurück nach Berlin gegeben wurden.