Dienste unter Druck

Der Ton ist rau geworden – bis hin zum öffentlichen gegenseitigen Abwatschen in Interviews. Keine Frage: Die Debatte über den Nutzen, die Kosten und die Qualität von Nachrichtenagenturen hat ein bedrohliches Niveau erreicht. Vor allem der Marktführer steht unter Druck, denn mit dem Auslaufen der dpa-Verträge mit den vier NRW-Titeln des WAZ-Konzerns hat es ein Symbol getroffen: die Agentur, die einst von den Verlegern selbst in einem stiftungsähnlichen Modell aufgezogen wurde.

Hinzu kommt: Während es früher die Agenturen waren, die fürs Agenda-Setting und die Themengewichtung in den Redaktionen sorgten, blicken Blatt- und Sendungsmacher heute wie fixiert auf „Spiegel Online", das längst nicht nur im Web Meinungsführer ist. Noch dazu wächst mit der im Netz allumfassenden und kostenlosen Nachrichtenverfügbarkeit in Echtzeit die Verlockung, zumindest auf einige teure Dienstleister zu verzichten. Und in keinem anderen Land der Welt muss eine nationale Agentur mit so vielen Ablegern internationaler Dienste konkurrieren wie in Deutschland. Der dpa tritt nämlich nicht nur der ddp auf die Füße. Beide sehen sich Angeboten von AP, AFP und Reuters ausgesetzt.

Sendern und Verlagen bieten sich zudem auch noch etliche Fachdienste an, von der AFP-Tochter sid für Sportmeldungen bis hin zu den kirchlichen Diensten KNA und epd. Längst können sich Redaktionen so aus mehreren Modulen einen dpa-Ersatz stricken. Nach ersten Vorreitern („Rheinische Post", „Rheinpfalz", „Saarbrücker Zeitung") verzichtet jetzt mit der WAZ-Gruppe ein Großkunde auf dpa und beschert ihr schmerzhafte Millioneneinbußen.

Preisfrage. „Für uns ist nicht der Journalismus der anderen Agenturkollegen die Gefahr, sondern ganz einfach der Preis", sagt Chefredakteur Wilm Herlyn. Dem Marktführer macht vor allem der ddp akut zu schaffen, der als Einziger ebenfalls Landesdienste aufgezogen hat. Zwar stehen 451 dpa-Redakteure nur 147 beim ddp gegenüber. Aber: „Sie picken sich die Rosinen raus, um damit zu glänzen", ärgert sich Herlyn. Das „Grundrauschen", sprich Pflichtberichte aus den Ländern, müsse dpa ja qua Gesellschafterauftrag sowieso bieten. Mit anderen Worten: Die dpa hat keine Wahl. Sie muss ein umfangreiches Angebot stemmen, selbst wenn sich manch einer ihrer Landesdienste nicht rechnen sollte.

Der ddp, der es in einer bemerkenswerten Kraftanstrengung aus einer Insolvenz in eine schmale Gewinnzone geschafft hat, hat mit dieser Rolle kein Problem. „Wir sehen uns nicht als überkommene Nachrichtenagentur", sagt Geschäftsführer Matthias Schulze. Was Herlyn „Grundrauschen" nennt, heißt bei ihm „vollumfängliches Chronistentum". Das sei zwar früher nötig gewesen. „Diese Pflicht wird heute aber infrage gestellt – durch das Internet."

Während die dpa nach wie vor Print, Rundfunk und Online gleichermaßen bedienen will, sagt ddp-Chefredakteur Joachim Widmann, er ziele vor allem auf Zeitungen ab, vor allem auf Regionalblätter. Dafür baut seine Redaktion täglich zusammen, was in Widmanns Vokabular auf den Begriff „Themen-Cluster" hört: Der ddp bietet in Details aufeinander abgestimmte Pakete aus Reportagen, Interviews und Info-Elementen an. Das soll vor allem Printredakteuren das Leben erleichtern, die so ganze Seiten füllen sollen. Widmann: „Wir folgen vor allem dem blattmacherischen Ansatz."

Beim ddp wollen sie die Bequemlichkeit des Redakteurs bedienen – und den Sparzwang, unter dem viele Verleger ächzen. Dafür pflegte der ddp schon immer stärker als andere das Featuren. Seit jeher gleichen so sogar Zusammenfassungen eher analytischen Zeitungsberichten denn nachrichtlichen Hörfunktexten.

Stiländerung. Dass Nachrichten heute völlig anders präsentiert werden müssen als zu den Urzeiten des Agenturjournalismus, haben auch die anderen erkannt. Auch die dpa. Und wenn deren Chefredakteur über den Wandel der Agentursprache spricht, erinnert er sich an einen Empfang zum Start des vermischten Ressorts. Damals, vor zehn Jahren, bat der Leiter der FAZ-Seite, Deutschland und die Welt‘ darum, „dass wir bloß nicht anfangen zu featuren", berichtet Herlyn. Nun bedienen sich unterdessen aber restlos alle Zeitungen einer lebendigeren Sprache – bis hin zur FAZ.

„Wenn inzwischen selbst solch konservative Zeitungen unsere Texte in eine anschauliche Sprache umsetzen, dann können wir das auch gleich selbst machen", sagt der Chefredakteur. Heute müssten nicht mehr zwingend alle sogenannten W-Fragen gleich im ersten Satz, dem Lead, beantwortet werden. Es zähle vielmehr der Küchenruf von Henry Nannen. Der gebe einer Meldung „eine ganz andere Melodie". Und der klassischen Nachrichtenlehre eine andere Priorität: „Wer das über Jahrzehnte anders gemacht hat", sagt der Chefredakteur, „der muss sein Nachrichtenhandwerk quasi neu lernen."

Bei der dpa gehen deshalb noch immer oft erst nüchterne Schnellmeldungen für das Radio über den Ticker, die anschließend von den Kollegen im Haus für die Online- und Mobildienste umgeschrieben werden müssen. „So vergeuden wir Synergien", sagt Herlyn selbstkritisch. Sein Appell: „Mit einer Zentralisierung würde sich das ändern."

Noch wird der Textdienst aus der Hamburger Zentrale gesteuert, Fotos aber in Frankfurt am Main. Und das an der Meldungszahl gemessene größte Ressort „Politik Inland" sitzt in der Parlamentsredaktion in Berlin, fernab der Kopfredaktion. Noch bezeichnender für die unzeitgemäße Struktur aber ist, dass für den Dienstleister dpa-infocom, der Webseiten mit den dpa-Text- und Bilddiensten bestückt, in Hamburg kein Platz in der Zentrale war und er deshalb auf der anderen Straßenseite residiert.

Ressorts, die längst ein gebündeltes Angebot bedienen, arbeiten bei dpa so voneinander getrennt. Das hemmt die Entwicklung. Bei dpa heißt es selbst, Abstimmungsfehler seien „teilweise gravierend". So sitzen inzwischen immerhin ein paar Entsandte des Fotodienstes in Hamburg, um Text-Bild-Scheren im Basisdienst entgegenzuwirken.

Chefredakteur Herlyn und Geschäftsführer Malte von Trotha würden gerne die Kernressorts inklusive Bild in der Hauptstadt zusammenlegen, damit ihr Angebot endlich aus einem Guss kommt. Zunächst aber prüft das Beratungsunternehmen IDS Scheer, ob sich das lohnen würde. Die Darmstädter, die bisher noch nicht für dpa gearbeitet haben, sollen bis zum Sommer eine objektive Empfehlung für eine Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat abliefern. Die dpa-Spitze hofft: pro Berlin-Umzug. Als die Politikredaktion im Jahr 2000 von Bonn nach Berlin zog, hatten die Gesellschafter eine Zusammenlegung der Kopfredaktionen in der Hauptstadt noch abgelehnt.

Neue Multimedia-Konzepte. Völlig unabhängig von der Standortdiskussion müssen sich die Mitarbeiter auf ganz andere Neuerungen einstellen: Ihr Haus arbeitet an einem neuen Konzept für Videos. Ein 2007 gestartetes Angebot ruht fast gänzlich. Es fand kaum Abnehmer.

„Videos lassen sich im Netz noch immer kaum mit Werbung refinanzieren. Das macht die Preise kaputt", sagt Geschäftsführer von Trotha. Der Marktführer musste erkennen, dass sich das Abbilden von Top-Themen nicht rechnet. Stattdessen will die dpa auch hier auf ihr dichtes Netz an Reportern in den Ländern setzen. „Wir hoffen, wieder mit unserer Infrastruktur punkten zu können", sagt von Trotha.

dpa-Redakteure, die bisher entweder nur in Text oder nur in Bild gearbeitet haben, sollen mit kleinen Videokameras bewaffnet werden. Ihre Chefs denken an Blaulichtberichte wie über das Busunglück bei Hannover, bei dem mehr als 20 Reisende umkamen. Zum Job seines Mitarbeiters vor Ort sagt Herlyn: „Warum soll der nicht auch noch schnell ein Video drehen?" Das funktioniere schließlich schon mit kleinen Kameras wie dem „Flip Video". Das Modell kostet nur knapp 100 US-Dollar und ist in den Staaten ein Kassenschlager.

Der Vorteil dieses Geräts: Reporter müssen nicht groß mit der Techn
ik hantieren, was für Internet-Videos, wie sie dpa verstärkt anbieten will, auch nicht zwingend nötig ist.

Auch die meisten anderen Agenturen wollen ihren Redakteuren deutlich mehr abverlangen. So mahnt auch AFP-Geschäftsführer Andreas Krieger, Multimedialität müsse im Produktionsprozess viel früher eine Rolle spielen. In der Zentrale des deutschen Ablegers baut derzeit noch ein eigenes Ressort aus den Text-, Bild- und Video-diensten ein Internetangebot. Die Pariser Konzernzentrale arbeitet jedoch an einem Konzept, das die Trennung gänzlich aufheben soll.

Bis es so weit ist, haben die Berliner Redakteure für Text und Multimedia schon mal ein Rotationsverfahren eingerichtet. „Dabei geht es um die Verzahnung von Text und Bildern, aber auch um die Abstimmung mit der Infografik und der Videoredaktion", sagt Krieger. Vor allem Textredakteure sollen sehen, wie ihre Arbeit multimedial verarbeitet wird und die Denke übernehmen. „Das ist der Anfang eines Weges", sagt Krieger.

Gleichzeitig arbeitet AFP am Ausbau seines Videoangebots für Webdienste. „Wir können noch nicht jedes Top-Thema binnen weniger Stunden anbieten", sagt Krieger. „Da haben Reuters und AP bessere Startbedingungen." Im Gegensatz zur dpa will AFP sein Videoangebot zu den Topthemen aber weiter ausbauen – auch mit Beiträgen aus Deutschland. Der hiesige Ableger übernimmt zudem fleißig Beiträge seines Mutterdienstes, der wie bei AP und Reuters aus der ganzen Welt berichtet.

Lediglich der ddp sieht derzeit keine Chance, sich auf dem Videomarkt zu etablieren. Stattdessen arbeitet er an einen Ausbau des Textdienstes. In der Mache ist ein Auslands-Featuredienst für „Seite Drei"-Geschichten in Regionalzeitungen. Kunden würden sich das wünschen, sagt Chefredakteur Widmann. „Die Zeitungen haben ja stets im Hinterkopf, dass ihr eigenes Korrespondentennetz Geld kostet."

Auslandsstärken. Der Aufbau eines solchen Dienstes dürfte mühsam sein. Der ddp kann auf keine nennenswerte Erfahrung mit Auslandsberichten aufbauen. AFP und AP dagegen können über ihre Mutterdienste auf ein weltweites Korrespondentennetz zugreifen. AP ist in 97 Ländern vertreten, AFP in 165. Und beide wollen diesen Vorteil noch besser nutzen. Dafür bestellen sie inzwischen auch bei den Korrespondenten Stücke mit deutschen Protagonisten. Die Zeiten, in denen sie nur Meldungen ihrer internationalen Dienste übernahmen, sind passé.

AP, AFP und Reuters wissen: Bei Inlandsmeldungen können sie der dpa kaum das Wasser reichen. Ihre Chance ist nur, ein Mindestmaß an Vollständigkeit deutlich günstiger anzubieten. „Das Rennen zwischen dem Hasen und dem Igel ist längst entschieden", sagt AP-Chefredakteur Peter M. Gehrig zum Geschäft mit Meldungen aus Deutschland. Das bedeutet: „Wir müssen unsere Auslandsstärken noch besser ausspielen", sagt Gehrig. Das Feld der Internationalen bleibt also vor allem Internationales.

Nur im Wirtschaftsressort sind sie immer wieder schneller als der Marktführer, allen voran Reuters. Für die Agentur ist der Verkauf ihrer Meldungen an Redaktionen aber ohnehin nur ein Nebenprodukt: Hauptkunden sind die Spieler auf dem Finanzmarkt. Bei den Recherchen dort und in den Krisenregionen der Welt, deren Poltern die Märkte erschüttern lässt, fällt genug ab, um dpa & Co. das Leben schwer zu machen.

Exklusiv-Meldungen. Alle Agenturen arbeiten zudem daran, schnell Präsenz zu zeigen. „Wir achten sehr darauf, ob wir in den Laufbändern der TV-Nachrichtensender vor den anderen Agenturen erscheinen", sagt Gehrig. Gleiches gelte für die Nachrichtenportale im Netz. Und während früher der Spruch galt, „We don’t make the news. We just report it", sind für alle Agenturen heute Exklusivbeiträge wichtiger denn je.

Der ddp hat dafür vor vier Jahren eine eigene Redaktion aufgebaut, die bisher 99 „ddp-Exklusiv"-Meldungen lieferte. Themen unter anderem: interne Prüfberichte zum ICE-Crash und die Pleite des Sicherheitsunternehmens Heros. Je nach Lage arbeiten in der Redaktion bis zu zehn Mitarbeiter. „Unser Recherche-Pool ist extrem wichtig, um auf dem Markt wahrgenommen zu werden", sagt der Chefredakteur.

Die dpa wertet wiederum seit zwei Jahren in ihrem Dienst Regiodata Daten aus Handelsregistern und Angaben der Statistikbehörden aus. Um das Prinzip des „computer assisted reporting" anzuwenden, hat sich die dpa sogar Statistiker ins Haus geholt. Sie liefern Auswertungen zum Frauenanteil bei Führungskräften, werten Pendlerstörme aus und sagen, wo die meisten Leseratten wohnen. Kunden können die Daten bis ins Lokale einsehen und zu individuellen Grafiken aufbereiten. Aber die Nachfrage dafür hält sich noch in Grenzen: Nur 32 Kunden haben den Dienst bisher abonniert.

„Regiodata braucht etwas länger als erhofft, um in die Gewinnzone zu kommen", sagt dpa-Geschäftsführer von Trotha. Er will durchhalten: „Der Dienst sorgt für exklusive Inhalte, mit denen wir auf dem Markt gut Flagge zeigen können."

Dafür werden die dpa-Kindernachrichten stark nachgefragt und machen schneller als erwartet Plus. Davon angespornt, bezieht gerade ein neuer fünfköpfiger Fachdienst seine Arbeitsplätze: Am 1. April soll die erste Meldung in den neuen, bilingualen türkischen Dienst laufen. Mögliche Kunden: Zeitungen und Sender für Türken in Deutschland wie „Hürriyet" und „Kanal D", aber auch andere, die über die türkische Szene in Deutschland berichten wollen.

Detektivarbeit im Netz. Neben dem Ausbau ihrer Angebote wollen die Agenturen auch dafür sorgen, dass niemand ihre Inhalte klaut. Dafür setzen sie Internet-Suchmaschinen wie Attributor und Textguard ein, die nach Übereinstimmungen mit ihren Texten suchen. „Wir müssen aufpassen, dass die im Internet vorherrschende Kostenlos-Mentalität nicht unser Geschäftsmodell angreift", erklärt Krieger von AFP. Derzeit sei das noch eine Bestandsaufnahme. „Wir schauen, wo unsere Texte überhaupt auftauchen", sagt Krieger. „Danach werden wir uns hinsetzen und überlegen, wie wir damit umgehen."

Dabei seien nicht Lehrer, Schüler oder Blogger das Problem. Ziel der Suche seien Seiten, die „dauerhaft und womöglich kommerziell" Agenturinhalte abgreifen. Krieger sagt, was auch seinen Konkurrenten in ersten Tests aufgefallen ist: Bei eingeführten Verlagen hätte er das noch nicht erlebt. „Unterhalb dieser Schwelle aber durchaus."

Das hat auch die dpa beobachtet. Und so wollen ihre Gesellschafter, die um den schmalen Gewinn des Marktführers bangen, den Anfängen wehren: Sie haben die Geschäftsführung beauftragt, nach einer „vertragswidrigen Nutzung von dpa-Inhalten" im Netz zu fahnden.

Linktipp:

Alles auf einen Blick: Umsätze, Ergebnisse, Meldungszahlen, Mitarbeiter von dpa, ddp, AP, AFP und Reuters: www.mediummagazin.de, Magazin+

Erschienen in Ausgabe 03/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 22 bis 22 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.