„Ich komme bei der Enkelgeneration normalerweise gut an“
Sprachpapst und Neu-Videoblogger Wolf Schneider über Sprachkritik und Internet
Interview: Jochen Brenner
Herr Schneider, Ihre neue Videokolumne nennen Sie in Anspielung auf Ihren Kampf gegen Angliszismen ironisch „Speak Schneider“. Viele Kritiker haben diese Ironie nicht erkennen wollen und dem „Sprachpapst“ den englischen Titel vorgehalten. Haben Sie Ihre Zuschauer überschätzt?
Wolf Schneider: Das muss ich in Kauf nehmen. Ich sah in dem Titel zunächst kein großes Problem.Mein Buch über Anglizismen heißt „Speak German!“, das fand ich kess und deshalb auch für den Videoblog geeignet.
Das Publizieren im Internet hat seine eigenen Regeln. Leser können schnell und anonym reagieren, während man früher einen Leserbrief schreiben musste, um seinem Meinung zu äußern. Muss man als Autor im Internet diese Sanktionsmöglichkeit der Leser stärker berücksichtigen als früher?
Nein, ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Ich habe mir auch einige Videoblogs angesehen, wie sie von verschiedenen Prominenten betrieben werden, und die Lebhaftigkeit der Reaktionen habe ich ebenso wahrgenommen. Daran kann mich nichts stören. Die Reaktionen auf meinen Videoblog sind überwiegend positiv und vor allem zahlreich. Das vor allem freut mich.
Als überwiegend positiv habe ich die Reaktionen nicht wahrgenommen, bestenfalls als gemischt bis irritiert. Die meisten sagen, Ihre Thesen seien ein alter Hut. Den Inhalt der ersten Kolumne kann man auch in Ihren Büchern nachlesen. Gibt es nichts Neues, über das Sie sich aufregen?
Dazu ist zweierlei zu sagen: Viele der jungen Leute, die ich per Internet erreiche, haben meine Bücher sicher nicht gelesen, und mal ein anderes Publikum zu erreichen, ist ja ganz schön. Dass wenig Neues in der ersten Kolumne steckt, hat leider auch damit zu tun, dass das Video ohne mein Zutun auf eine Minute gekürzt wurde, womit ich niemals einverstanden gewesen wäre. Aufgenommen hatten wir drei Minuten, und wären die gesendet worden, wäre es auch kein so alter Hut gewesen. In Zukunft darf nur mit meiner ausdrücklichen Genehmigung gekürzt werden.
Warum prangern Sie in Ihrer Kolumne nur sprachliche Misslichkeiten an, bieten aber keine Lösungen?
Die Absicht der ersten Kolumne zum Thema Feminismus war, Gegner des feministischen Sprachgebrauchs ein wenig in ihrem Widerstand zu ermutigen. Ich finde ihn albern und habe ihm öffentlich den Krieg erklärt. Wenn sich da nun ein paar Leute meiner Meinung anschließen, dann freue ich mich. Mehr erwarte ich gar nicht. Lösungen kann ich nicht anbieten. Ich kann nur Probleme ansprechen und Einladungen aussprechen.
Ihr Kollege Hans Leyendecker sagte jüngst, ihn störe im Internet oft der „menschenverachtende Ton.“ Einige Kommentatoren haben sich nach der Veröffentlichung Ihrer ersten Kolumne über Ihr Alter lustig gemacht. Der alte Mann und das Netz, das war der Ton. Berührt Sie das?
Das wusste ich vorher. Ich komme nur normalerweise bei der Enkelgeneration sehr gut an. Die Kolumne war eine Initiative von vier freien Journalisten, die ich zwei Jahre zuvor an der Henri-Nannen-Schule unterrichtet habe. Zu den 25-jährigen habe ich kurioserweise einen ziemlich guten Draht, Wenn die nun sagen: Mach das mal, warum soll ich das dann schlecht finden?
Wird der Ton im Internet gehässiger ?
Schmähungen bekommen einen Platz, der ihnen früher nicht eingeräumt worden wäre. Aber jedes Echo ist besser als kein Echo.
Der Akt des Schreibens ist ein dehnbarer Prozess, im Videoblog müssen Sie auf den Punkt sprechen. Bereiten Sie sich wie ein Schauspieler auf Ihren Auftritt vor der Kamera vor?
Ich habe mir ein Konzept gemacht. Aber nach 106 Sendungen als Gastgeber der NDR-Talkshow und vielen Vorträgen bin ich im Sprechen ein Profi. Das ist für mich Routine.
Haben Sie als Blogger Vorbilder?
Nein, was ich gesehen habe, fand ich nicht so überzeugend, dass ich ihm unbedingt nacheifern müsste. Ich habe genug Erfahrung in mündlicher Selbstdarstellung.
In Ihrer Juni- Kolumne knöpfen Sie sich die Lehrer vor. Ich ahne, dass es keine Lobeshymne wird. Was aber müsste man in Ihrer Sicht denn an der Lehrerausbildung ändern?
Dass ich das Kultusministerium beeinflussen könnte, bilde ich mir nicht ein, ich verspotte es nur. Ich habe mir für die Kolumne die Richtlinien des bayerischen Kultusministeriums für den Deutschunterricht an der Oberstufe kommen lassen. Die Richtlinien sind ganz klar und vermitteln ein völlig korrektes Deutsch, in dem man mit schönster Grammatik die entsetzlichsten Sätze bilden kann. Verständlich schreiben, angenehm schreiben, farbig schreiben, konkret schreiben wird nicht gelehrt; diese Fähigkeiten werden in Wissenschaftspropädeutik ersäuft. Mein Beitrag ist eine Ohrfeige für das bayerische Kultusministerium und gezielter Hochmut gegen einseitige Deutschlehrer.
Hätten Sie nicht Lust auf einen Text- Blog? Sie könnten noch schneller auf Aktuelles reagieren, wie jüngst auf die Schweinegrippe.
Nein, dazu habe ich keine Lust. Es sei denn, ich bekomme eine interessante Einladung. Es ist ja aber nach wie vor so, dass mir nichts einfallen muss. Ich bin mit Aufträgen zugedeckt und kann mir die interessanten unter ihnen aussuchen.
Sie verfolgen intensiv die Diskussion zur Zukunft der Zeitung. Was muss getan werden, um die Institution Tageszeitung zu bewahren?
Viele Tageszeitungen müssen einen Schritt gehen, den einige Große schon gegangen sind. Sie müssen sich gegenüber einer Nachricht so verhalten, wie es seit über sechzig Jahren der Spiegel tut: Er kommt immer zu spät und kann mit der nackten Nachricht niemandem mehr imponieren. Man bediene die Leser also mit Texten, die sie aus dem Internet nicht kennen. Das Analytische und Reportagehafte muss in den Vordergrund. Damit kann man die Tageszeitung kurzfristig besser im Geschäft halten. Ob sie überleben wird, ist eine ganz andere Frage. Es gibt eine These, der ich mich seufzend anschließe: Nur Wochenzeitungen oder Wochenendausgaben werden überleben. Auch diejenigen unter den Online-Lesern, die sich noch tiefer gehend informieren wollen, werden irgendwann keine Lust mehr haben, sich täglich mit raschelndem Papier zu umgeben.